II FRÜHLINGSWENDE

Vor keinem windeszug bebt der hain.

In der frühe fiel leiser regen ..

Nun rinnt der blätter feuchte zu tropfen

Und tränkt die erde in kleinen pausen.

Die sonne versucht mit feinen strahlen

Der eichen dichtes dach zu durchdringen

Ob sie verdächtige sümpfe spähe

Bekränzte rinder die mählich verenden

Seitenpfade gleitend von blut

Und ob der göttlichen fordrung genüge

Der flammenden herde steigender rauch.[115]

Ein greis in priesterlichem ornate

Erscheint im hain .. der Alleingeborene

In stolzer gewande beschwerlicher würde

Befolgt ihn am arme knabenhaft folgsam.

– Es ist sein fest .. der tag ist gekommen

Wo beide bilder er schauen soll.

Schon seit dem erwachen verkündeten opfer

Und alter bräuche glücklicher ausspruch

Des hohen lenkers versöhnung und gunst.

Im schweigen das grosser handlung vorangeht

Gemessen sie zum heiligtum schreiten

Wo uralte wipfel zur wölbung sich schliessen:

Die stämme mit rätselvollen emblemen.

Siehst du die Hehre in männerrüstung?

Die wilde kraft entzündenden brauen?

Der freigeborene guten samens

Empfindet sie und kennt sie für immer.

Zum erstenmal schwing die gewaltige axt

Die schwacher jugend wesen vernichtet

Und fortan ziere dies schwert deine gurt!

Der sohn dankt mit gehorsamer zunge

Mit kindes unbewusster list

Froh weil ahnend dass froh er sein soll.

Er erntet umarmung und warmen segen[116]

Und lang noch hebt sich stumme sammlung

Der beiden beter empor zu der säule.


Sie wandeln weiter zum andern tempel.

Am eingang stehen holunderbüsche

Die bei der berührung wolken wirbeln

Und leise lispeln und sündenah:

Du bist ein mann nun und kühnen auges

Magst du entschleierte reize beschauen ..

Sie lohnen mit weichen küssen den starken.

Verachte wen stets ihre bande erschlaffen!

Ein tor wer ganz ihren spenden entsagt!

Des jünglings blicke mit solcher verwirrung

Sich vor dem bilde zu boden senken

Dass gar die lippe dem lachen feindlich

Ein flüchtiges zucken nicht überwand:

Wenn heute nach dem freudengelage

Der reizenden sklavin atem dich wärmt

Dann hast du das scheue pochen vergessen

Dann wird auch diese göttin dir klar.[117]

Pflichtentbunden entflieht der jüngling

Langer riten heiligem zwange

Wieder herr seiner wünsche und tritte

Freuden zu frönen die lebhaft am morgen

Vor ihm gegaukelt und deren erwartung

Während der weihen geduld ihm verlieh:

Drüben am grünumgitterten weiher

Wo er so oft in einsamer freiheit

Selig gestalten und taten gesponnen

Und auf behaglichem fittich entsandte:

Wo der minze blätter ihn locken

Strenger duft verborgener bollen

Und des schilfes formsames feld.


Als er die wiese kürzend durchteilet

Gewahrt er nicht Sie noch in sicherer ferne

Die lästig oft seine bahnen kreuzte?

Und die nach der kindheit albernem spiele

Er mied und nie mehr verstehen konnte?

Die oft mit worten und mienen ihn störte

Ihm ohne bedeutung müssig und quälend

Die hinter mütterlichem lächeln[118]

Wenn überraschendes auge nahte

Den glühenden willen weise verbarg.


Wonnejauchzend empfing sie die kunde

Dass als Erlesener ihr nun erblühe

Was ihre mühe segenlos suchte.

Kalter monde mässigem laufe

Folgte sie brennend bis endlich erwachte

Feiertag! jagender pulse schaffung!

Früh hat sie noch des schmuckes entbehrend

Lauernd in den geländen geharrt

Aus seinen blicken und mienen zu lesen

Einmal vor der siegreichen nacht.


Die dunkel vom vater verheissene kennt er.

Er faltet in schüchternem missmut die stirn.

Ich werde sie heut ja gehorsam noch dulden.

Was will sie den glücklichen mittag mir rauben

Den wol ich verdient nach dem heiligen eifer

Mit dem ich der götter wünsche erfüllt[119]

Durch lange stunden vor ihren altären?

Ihr weichend seine schritte er wendet

Und sucht im walde den längeren pfad.


Er springt die schattige böschung hinunter

Zum lieben orte wo er nur herr ist.

Er rastet auf niedergeschlagenen ästen

Die hohlen rohre kunstvoll er schneidet

Im ruhigen fluss der gedanken froh.

Der kommende abend nur trübt ihm den frieden

Vor männer händedrücken ihm graut

Und vielen ihm unnütz entzogenen silben.

Ihn kümmert wenig der festesjubel

Und nächtig bei bannendem gelage

Der becher und redenden trinker lärm

Der würdigen sänge heisere töne

Und drauf die hochgepriesenen freuden

Die kaum er ahnt die lieber er miede ..

Im wasser inmitten der blassgrünen algen

Und schwanker zum ufer getriebener blumen

Erblickt er nur immer sein eigenes bild.

Quelle:
Stefan George: Die Fibel. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 1, Berlin 1927, S. 113-120.
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