AM BRUNNEN

[46] Manuel – Leila


LEILA

(mit einem kruge kommend)

Warum lächelst du heute nicht froh da ich erscheine?


MANUEL

Ich leide noch von der angst dass du ausbleiben könntest.


LEILA

Ich bin zum drittenmal gekommen und weiss nicht ob ich darf.


MANUEL

Es verfloss keine stunde wo ich nicht bei dir lebte[46]

Ich rufe nach dir in nächten die ich ohne schlaf verbringe.


LEILA

Ich hörte häufig deine stimme deutlich hier an der quelle.


MANUEL

Und zum monde sah ich denkend dass du auch hinsähest.


LEILA

Ich fühlte es an der plötzlichen wärme seiner strahlen.


MANUEL

So kurze nähe und so lange trennung trag ich nicht mehr.

Höre Leila! drüben in weiten gärten liegt mein haus.

Was sagtest du wenn wir dort im morgen der blumen warteten

Im abend den vögeln lauschten unter dunklen lauben

Und wenn wir uns niemals verliessen für alle tage –

(sie schlingen ihre finger ineinander und heben sie bis zur schulterhöhe · dann reisst sich Leila los)


LEILA

Du musst jezt schweigen und mich verlassen

Denn meine seele ist ganz in zittern.

(Manuel steht traurig da · Leila geht mit ihrem krug zur hütte)

*


[47] Der Vater – Leila.


VATER

Warum richtest du dein auge nicht auf die purpurne sonne?


LEILA

Ich sehe die purpurne sonne auch mit geschlossenem auge.


VATER

Willst du nicht einige schritte mit mir wandeln eh sie untergeht?


LEILA

Ich bin den ganzen tag unter bäumen und durch blumen gewandelt.


VATER

Ich glaube dass du deine jungen tauben noch nicht gefüttert hast.


LEILA

Meine jungen tauben werden ihr futter finden auch ohne mich.


VATER

Warum bringst du mir keine blumen mehr wie früher?[48]


LEILA

Es trocknen noch einige sträusse an unsrem fenster.


VATER

Deine worte kommen mir zögernd und müde vor.


LEILA

(sieht auf und schweigt)


VATER

Als ich dich heut morgen rief sahest du mich so starr an.


LEILA

(schweigt)


VATER

(traurig)

Ich ahne dass deine liebe zu mir verloren geht.


LEILA

(auf ihn zueilend)

Vater du züchtigst mich und ich weiss nicht warum.


VATER

(abweisend)

Bleib und füge zu deinem undank keine lüge ·[49]

Ich merke dass du dich von mir trennen willst.

Ein rotes mal ist auf deine stirn gezeichnet.

Ich werde bald aufhören dich meine tochter zu nennen.

(geht in die hütte)


LEILA

Was ist vorgefallen in jenen kurzen tagen:

Ich sah zwei augen und war plötzlich wie geblendet

Blumen quellen und himmel kamen mir anders vor.

Ich spürte zwei lippen und ich lebe seitdem

In einem wunderbaren und süssen reiche.

So oft ich die lider schliesse spüre ich sie wieder.

Deshalb kann mein vater doch nicht erzürnt sein.

(hinknieend und die arme emporhebend)

Ich fühle mich rein wie die kinder im himmel droben.


*


Der Vater – Leila


VATER

Weit weg suchen deine augen nach einem glücke

Höre: wenn die stimme meiner liebe dich nicht mehr hält

So erinnre dich dass wir hohe flüchtlinge sind[50]

Und immer leben müssen nach den gesetzen unsrer krone.


LEILA

Vater ich bin mir keines dings bewusst wovor ich erröten müsste.


VATER

Uns ist verboten mit jedem niedren uns zu verbinden.


LEILA

Und wenn kein niedrer sondern der sohn eines königs käme?


VATER

Dann verbietet dir unser elend zu ihm aufzuschauen.

So leben wir der verbannten herrscher los

Nirgends auf der erde können sie sich mehr verknüpfen

Ihre freude muss es sein dass sie stolz ertragen.

Wenn meine zärtliche sorge dich nicht mehr lenken kann

So wird das heilige blut in deinen adern dir sagen:

Du vergehst dich wenn du einen fremden auch nur anlächelst ..


(ab)


LEILA

(allein)

Der vater spricht mir von unrecht dass ich ein altes band zerrissen[51]

Doch auch das neue zu zerreissen liegt nicht in meiner macht ..

Ich fühlte mich nie als verbannte hier unter meinen blumen

Von einer andren heimat hab ich kaum geträumt ..

Ich bin gewiss wenn ich Ihn nicht mehr sehen soll

Werd ich welken wie eine blume die man aus dem boden zog

Und wenn ich Seiner liebe verlustig gehe

So will ich nichts mehr als heilig und hoch erkennen ...

Ich habe nur Ein leben · das mit ihm und für ihn.


*


Leila (tot) · Vater (vor ihr knieend). Langsam kommt ein zug von weissgekleideten Jünglingen mit goldenen stäben und palmzweigen.


DIE JÜNGLINGE

Heil Timon · Heil dir König Timon!

So jauchzt in deinem land dein volk

Bald ruft es dich zurück![52]

Quelle:
George, Stefan: Schlussband, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 18, Berlin 1934, S. 46-53.
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