Advents-Gesang
Wie soll ich dich empfangen

(Matth. 21, 8)


1.

Wie soll ich dich empfangen

Und wie begegn' ich dir?

O aller Welt Verlangen,

O meiner Seelen Zier!

O Jesu, Jesu, setze

Mir selbst die Fackel bei,

Damit, was dich ergötze,

Mir kund und wissend sei.


2.

Dein Zion streut dir Palmen

Und grüne Zweige hin,

Und ich will dir in Psalmen

Ermuntern meinen Sinn.

Mein Herze soll dir grünen

In stetem Lob und Preis

Und deinem Namen dienen,

So gut es kann und weiß.


3.

Was hast du unterlassen

Zu meinem Trost und Freud?

Als Leib und Seele saßen

In ihrem größten Leid,

Als mir das Reich genommen,

Da Fried und Freude lacht,

Da bist du, mein Heil, kommen

Und hast mich froh gemacht.


4.

Ich lag in schweren Banden,

Du kommst und machst mich los;

Ich stund in Spott und Schanden,

Du kommst und machst mich groß

Und hebst mich hoch zu Ehren[1]

Und schenkst mir großes Gut,

Das sich nicht läßt verzehren,

Wie irdisch Reichtum tut.


5.

Nichts, nichts hat dich getrieben

Zu mir vom Himmelszelt

Als das geliebte Lieben,

Damit du alle Welt

In ihren tausend Plagen

Und großen Jammerlast,

Die kein Mund kann aussagen,

So fest umfangen hast.


6.

Das schreib dir in dein Herze,

Du hochbetrübtes Heer,

Bei denen Gram und Schmerze

Sich häuft je mehr und mehr.

Seid unverzagt, ihr habet

Die Hilfe vor der Tür;

Der eure Herzen labet

Und tröstet, steht allhier.


7.

Ihr dürft euch nicht bemühen

Noch sorgen Tag und Nacht,

Wie ihr ihn wollet ziehen

Mit eures Armes Macht.

Er kommt, er kommt mit Willen,

Ist voller Lieb und Lust,

All Angst und Not zu stillen,

Die ihm an euch bewußt.


8.

Auch dürft ihr nicht erschrecken

Vor eurer Sündenschuld.

Nein, Jesus will sie decken

Mit seiner Lieb und Huld.[2]

Er kommt, er kommt den Sündern

Zum Trost und wahren Heil,

Schafft, daß bei Gottes Kindern

Verbleib ihr Erb und Teil.


9.

Was fragt ihr nach dem Schreien

Der Feind und ihrer Tück?

Der Herr wird sie zerstreuen

In einem Augenblick.

Er kommt, er kommt, ein König,

Dem wahrlich alle Feind

Auf Erden viel zu wenig

Zum Widerstande seind.


10.

Er kommt zum Weltgerichte,

Zum Fluch dem, der ihm flucht,

Mit Gnad und süßem Lichte

Dem, der ihn liebt und sucht.

Ach komm, ach komm, o Sonne,

Und hol uns allzumal

Zum ewgen Licht und Wonne

In deinen Freudensaal.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 1-3.
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