Warum sollt ich mich doch grämen?

[243] 1.

Warum sollt ich mich doch grämen?

Hab ich doch

Christum noch,

Wer will mir den nehmen?

Wer will mir den Himmel rauben,

Den mir schon

Gottes Sohn

Beigelegt im Glauben?


2.

Nackend lag ich auf dem Boden,

Da ich kam,

Da ich nahm

Meinen ersten Odem;

Nackend werd ich auch hinziehen,

Wann ich werd

Von der Erd

Als ein Schatten fliehen.
[243]

3.

Gut und Blut, Leib, Seel und Leben

Ist nicht mein;

Gott allein

Ist es, ders gegeben.

Will ers wieder zu sich kehren,

Nehm ers hin!

Ich will ihn

Dennoch fröhlich ehren.


4.

Schickt er mir ein Kreuz zu tragen,

Dringt herein

Angst und Pein,

Sollt ich drum verzagen?

Der es schickt, der wird es wenden!

Er weiß wohl,

Wie er soll

All mein Unglück enden.


5.

Gott hat mich bei guten Tagen

Oft ergötzt:

Sollt ich jetzt

Auch nicht etwas tragen?

Fromm ist Gott und schärft mit Maßen

Sein Gericht;

Kann mich nicht

Ganz und gar verlassen.


6.

Satan, Welt und ihre Rotten

Können mir

Nichts mehr hier

Tun, als meiner spotten.

Laß sie spotten, laß sie lachen!

Gott, mein Heil,

Wird in Eil

Sie zu Schanden machen.
[244]

7.

Unverzagt und ohne Grauen

Soll ein Christ,

Wo er ist,

Stets sich lassen schauen.

Wollt ihn auch der Tod aufreiben,

Soll der Mut

Dennoch gut

Und fein stille bleiben.


8.

Kann uns doch kein Tod nicht töten,

Sondern reißt

Unsern Geist

Aus viel tausend Nöten;

Schleußt das Tor des bittern Leiden

Und macht Bahn,

Da man kann

Gehn zur Himmelsfreuden.


9.

Allda will in süßen Schätzen

Ich mein Herz

Auf den Schmerz

Ewiglich ergötzen.

Hier ist kein recht Gut zu finden:

Was die Welt

In sich hält,

Muß im Hui verschwinden.


10.

Was sind dieses Lebens Güter?

Eine Hand

Voller Sand,

Kummer der Gemüter.

Dort, dort sind die edlen Gaben,

Da mein Hirt,

Christus, wird

Mich ohn Ende laben.
[245]

11.

Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,

Du bist mein,

Ich bin dein,

Niemand kann uns scheiden:

Ich bin dein, weil du dein Leben

Und dein Blut

Mir zugut

In den Tod gegeben.


12.

Du bist mein, weil ich dich fasse

Und dich nicht,

O mein Licht,

Aus dem Herzen lasse.

Laß mich, laß mich hingelangen,

Da du mich

Und ich dich

Lieblich werd umfangen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 243-246.
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