Der 13. Psalm
Ach Herr, wie lange willst du mein so ganz und gar vergessen?

[269] Gedichtet zur Leichenfeier des 1660 verstorbenen Rittmeisters Christoph Ludwig von Thümen


1.

Ach Herr, wie lange willst du mein

So ganz und gar vergessen?

Wie lange soll der Sorgen Stein

Mich und mein Herze pressen?

Wie lange soll dein Angesicht

Sich von mir wenden? Willst du nicht

Dich meiner mehr erbarmen?


2.

Wie lange soll ich armes Kind

Der Seelen Ruh entbehren?

Wie lange soll der Sturm und Wind

Der Herzensangst gewähren?

Wie lange soll mein stolzer Feind,

Ders niemals gut, stets böse meint,

Sich über mich erheben?


3.

Ach, schaue doch, mein Gott und Hort,

Von deiner heilgen Hütte

Und höre meiner Klage Wort

Und hochbetrübte Bitte;

Gib meinen Augen Kraft und Macht

Und laß des Todes finstre Nacht

Mich nicht so bald befallen!
[269]

4.

Sonst würde meiner Feinde Mund

Des Ruhms kein Ende machen;

Sie würden mein, als der zu Grund

Und Boden gangen, lachen:

Da liegt der, würden sie mit Freud

Herprahlen, der uns jederzeit

So viel zu schaffen machte!


5.

Ich kenne sie und weiß gar wohl,

Was sie im Schilde führen,

Ihr Herz ist aller Bosheit voll,

Läßt sich nichts Guts regieren.

Du aber bist der fromme Mann,

Herr, mein Gott, der nicht lassen kann

Die, so sich zu dir halten.


6.

Des tröst ich mich und hoffe drauf

Du wirst auch mir fromm bleiben

Und aller bösen Tücke Lauf

Gewaltig hintertreiben.

Mein Herze freut sich, wenns bedenkt,

Wie gern du stets dein Heil geschenkt

Dem, der sich dir vertrauet.


7.

Das tu ich, Herr; ich traue dir:

Du bist mein einzge Freude,

Bewehrest mich, tust wohl an mir

Und führst mich aus dem Leide.

Dafür will ich mein Leben lang

Dir manchen schönen Lobgesang

Zum Dank und Opfer bringen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 269-270.
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