Wer wohlauf ist und gesund

[291] Danklied für Gesundheit des Leibes


1.

Wer wohlauf ist und gesund,

Hebe sein Gemüte

Und erhöhe seinen Mund

Zu des Höchsten Güte.[291]

Laßt uns danken Tag und Nacht

Mit gesunden Liedern

Unserm Gott, der uns bedacht

Mit gesunden Gliedern.


2.

Ein gesundes frisches Blut

Hat ein fröhlich Leben;

Gibt uns Gott dies einzge Gut,

Ist uns gnug gegeben

Hier in dieser armen Welt,

Da die schönsten Gaben

Und des güldnen Himmels Zelt

Wir noch künftig haben.


3.

Wär ich gleich wie Krösus reich,

Hätte Barschaft liegen,

Wär ich Alexandern gleich

An Triumph und Siegen;

Müßte gleichwohl siech und schwach

Pfühl und Betten drücken:

Würd auch mich im Ungemach

All mein Gut erquicken?


4.

Stünde gleich mein ganzer Tisch

Voller Lust und Freude,

Hätt ich Wildbret, Wein und Fisch

Und die ganze Weide,

Die den Hals und Schmack ergötzt:

Wozu würd es nützen,

Wenn ich dennoch ausgesetzt

Müßt in Schmerzen sitzen?


5.

Hätt ich aller Ehren Pracht,

Säß im höchsten Stande,

Wär ich mächtig aller Macht[292]

Und ein Herr im Lande;

Mein Leib aber hätte doch

Auf- und angenommen

Der betrübten Krankheit Joch:

Was hätt ich für Frommen?


6.

Ich erwähl ein Stücklein Brot,

Das mir wohl gedeihet,

Vor des roten Goldes Kot,

Da man Ach bei schreiet;

Schmeckt mir Speis und Mahlzeit wohl

Und darf mein nicht schonen,

Halt ich ein Gerichtlein Kohl

Höher als Melonen.


7.

Samt und Purpur hilft mir nicht

Mein Elende tragen,

Wenn mich Hauptweh, Stein und Gicht

Und die Schwindsucht plagen.

Lieber will ich fröhlich gehn

Im geringen Kleide,

Als mit Leid und Ängsten stehn

In der schönsten Seide.


8.

Sollt ich stumm und sprachlos sein

Oder lahm an Füßen,

Sollt ich nicht des Tages Schein

Sehen und genießen;

Sollt ich gehen spat und früh

Mit verschlossnen Ohren:

Würd ich wünschen, daß ich nie

Wär ein Mensch geboren.


9.

Lebt ich ohne Rat und Witz,

Wär im Haupt verirret,[293]

Hätte meiner Seelen Sitz,

Mein Herz, sich verwirret;

Wäre mir mein Mut und Sinn

Niemals guter Dinge:

Wär es besser, daß ich hin,

Wo ich her bin, ginge.


10.

Aber nun gebricht mir nichts

An erzählten Stücken,

Ich erfreue mich des Lichts

Und der Sonnen Blicken,

Mein Gesichte sieht sich üm,

Mein Gehöre höret,

Wie der Vöglein süße Stimm

Ihren Schöpfer ehret.


11.

Händ und Füße, Herz und Geist

Sind bei guten Kräften,

Alle mein Vermögen fleußt

Und geht in Geschäften,

Die mein Herrscher hat gestellt

Hier in meinem Bleiben,

Alsolang es ihm gefällt,

In der Welt zu treiben.


12.

Ist es Tag, so mach und tu

Ich, was mir gebühret,

Kommt die Nacht und süße Ruh,

Die zum Schlafen führet,

Schlaf und ruh ich unbewegt,

Bis die Sonne wieder

Mit den hellen Strahlen regt

Meine Augenlider.


13.

Habe Dank, du milde Hand,

Die du aus dem Throne[294]

Deines Himmels mir gesandt

Diese schöne Krone

Deiner Gnad und großen Huld,

Die ich all mein Tage

Niemals hab um dich verschuldt

Und doch an mir trage.


14.

Gib, so lang ich bei mir hab

Ein lebendges Hauchen,

Daß ich solche teure Gab

Auch wohl möge brauchen;

Hilf, daß mein gesunder Mund

Und erfreute Sinnen

Dir zu aller Zeit und Stund

Alles Liebs beginnen!


15.

Halte mich bei Stärk und Kraft,

Wenn ich nun alt werde,

Bis mein Stündlein hin mich rafft

In das Grab und Erde;

Gib mir meine Lebenszeit

Ohne sonderm Leide,

Und dort in der Ewigkeit

Die vollkommne Freude!

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 291-295.
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