8.

Axiom

[368] Freund, wer ein Lump ist, bleibt ein Lump,

Zu Wagen, Pferd und Fuße;

Drum glaub an keinen Lumpen je,

An keines Lumpen Buße.


Bin ich für 'ne Sache eingenommen,

Die Welt, denk ich, muß mit mir kommen;

Doch welch ein Greuel muß mir erscheinen,

Wenn Lumpe sich wollen mit mir vereinen.


Für und wider zu dieser Stunde

Quengelt ihr schon seit vielen Jahren:

Was ich getan, ihr Lumpenhunde!

Werdet ihr nimmermehr erfahren.


»So sei doch höflich!« – Höflich mit dem Pack?

Mit Seide näht man keinen groben Sack.


Wie mancher Mißwillige schnuffelt und wittert

Um das von der Muse verliehne Gedicht;

Sie haben Lessing das Ende verbittert –

Mir sollen sie's nicht![368]

Jedem redlichen Bemühn

Sei Beharrlichkeit verliehn.


Jeder Weg zum rechten Zwecke

Ist auch recht in jeder Strecke.


Wer mit dem Leben spielt,

Kommt nie zurecht;

Wer sich nicht selbst befiehlt,

Bleibt immer ein Knecht.


Gut verloren – etwas verloren!

Mußt rasch dich besinnen

Und neues gewinnen.

Ehre verloren – viel verloren!

Mußt Ruhm gewinnen,

Da werden die Leute sich anders besinnen.

Mut verloren – alles verloren!

Da wär es besser: nicht geboren.


Willst du dir ein gut Leben zimmern,

Mußt ums Vergangne dich nicht bekümmern,

Und wäre dir auch was verloren,

Erweise dich wie neugeboren;

Was jeder Tag will, sollst du fragen,

Was jeder Tag will, wird er sagen;

Mußt dich an eigenem Tun ergötzen,

Was andre tun, das wirst du schätzen;

Besonders keinen Menschen hassen

Und das übrige Gott überlassen.
[369]

Bekenntnis heißt nach altem Brauch

Geständnis, wie man's meint;

Man rede frei, und wenn man auch

Nur Zwei und Drei vereint.


Das Opfer, das die Liebe bringt,

Es ist das teuerste von allen;

Doch wer sein Eigenstes bezwingt,

Dem ist das schönste Los gefallen.


Nur wenn das Herz erschlossen,

Dann ist die Erde schön.

Du standest so verdrossen

Und wußtest nicht zu sehn.


Der Zaubrer fordert leidenschaftlich wild

Von Höll und Himmel sich Helenens Bild;

Trät er zu mir in heitern Morgenstunden,

Das Liebenswürdigste wär friedlich ihm gefunden.


Zu verschweigen meinen Gewinn,

Muß ich die Menschen vermeiden;

Daß ich wisse, woran ich bin,

Das wollen die andern nicht leiden.


Der Philosoph, dem ich so gern vertraue,

Lehrt, wo nicht gegen alle, doch die meisten,

Daß unbewußt wir stets das Beste leisten:

Das glaubt man gern und lebt nun frisch ins Blaue.
[370]

Der Dichter schaut in Weltgewühle,

Sieht jeden Menschen mit sich selbst befangen,

Bald heitern Sinns, bald bänglicher Gefühle,

Doch hat er Zwecke. Daß er die erlange,

Sucht er den eignen Weg zum eignen Ziele.

Was das bedeute, merkt er sich und allen,

Und was bedeutet, läßt er sich gefallen.


Gar mancher hat sich ernst beflissen

Und hatte dennoch schlechten Lohn.

Es ist ganz eigen: wenn sie wissen,

So meinen sie, sie wüßten schon.


In die Welt hinaus!

Außer dem Haus

Ist immer das beste Leben;

Wem's zu Hause gefällt,

Ist nicht für die Welt –

Mag er leben!


Seh ich zum Wagen heraus

Mich nach jemand um,

So macht er gleich was draus;

Er denkt, ich grüß ihn stumm,

Und er hat recht.


Annonce


»Ein Hündchen wird gesucht,

Das weder murrt noch beißt,

Zerbrochene Gläser frißt

Und Diamanten.......«


[371] Erwiderungen


Wie mir dein Buch gefällt? –

Will dich nicht kränken:

Um alles in der Welt

Möchte nicht so denken.


Wie mir dein Buch gefällt?

Ich lasse mir's schenken;

Hie und da in der Welt

Mag man wohl so denken.


Es ist nicht zu schelten,

Man laß es gelten!

Ich aber bin kein Haar

Weiter, als ich war.


Welch hoher Dank ist dem zu sagen,

Der frisch uns an das Buch gebracht,

Das allem Forschen, allen Klagen

Ein grandioses Ende macht.


Du, der Gefällige,

Warum du so fürchterlich bist? –

Das zu Gefällige

Ist ähnlich der List.


Jüngling, merke dir in Zeiten,

Wo sich Geist und Sinn erhöht,

Daß die Muse zu begleiten,

Doch zu leiten nicht versteht.
[372]

Angedenken an das Gute

Hält uns immer frisch bei Mute.


Angedenken an das Schöne

Ist das Heil der Erdensöhne.


Angedenken an das Liebe,

Glücklich! wenn's lebendig bliebe.


Angedenken an das Eine

Bleibt das Beste, was ich meine.


Daß ich bezahle,

Um zu verführen,

Das gilt in Westen,

Das gilt in Osten.

Daß ich bezahle,

Um zu verlieren,

Das sind, ich dächte,

Sehr falsche Kosten.


Seit einigen Tagen

Machst du mir ein bös Gesicht.

Du denkst wohl, ich soll fragen,

Welche Mücke dich sticht.


Das soll nun auch in meinen Sinn:

Zur Majestät ein Luder!

Mir wird für Schrecken siedend heiß,

Wie meine Haare weiß, so weiß

Ist auch gewiß mein Puder;

Und eine Luder-Königin

Ist auch so weiß wie Puder.
[373]

Bist eingeladen! Aber dein Gewinn

Ist nicht beim Schmause.

Wie ich eine Schöne los bin,

Bin gleich zu Hause.


Magst du jemand Feste geben,

Dem du schwer verschuldet?

Kannst du doch mit niemand leben,

Der dich allenfalls nur duldet.


Dir, alter Jason, noch so spät

Keimt abermal ein feindlicher Hauf:

Als hätte man K-s Zähne gesät,

Die Saat wächst grimmiger immer auf.


Mir und dir ist niemand hold,

Das ist unser beider Schuld.


»Warum ist denn das Urteil allzu kurz?«

Ein jeder schnuffelt nach dem eignen Furz.

Ich schelt euch nicht, wär es nicht Allgebrauch;

Wenn ich's täte, tätet ihr's denn auch?


Das mußt du als ein Knabe leiden,

Daß dich die Schule tüchtig reckt.

Die alten Sprachen sind die Scheiden,

Darin das Messer des Geistes steckt.


Wer mag denn gleich Vortreffliches hören?

Nur Mittelmäßige sollten lehren.
[374]

Viele Kinder, und schöne, werden gezeugt,

Weil sich auch Garstig zu Garstig neigt.

Hier schadet keineswegs das Gesicht:

Denn mit dem Gesichte zeugt man nicht.


Hier aber folgt noch allzuvieles

In meinen Papieren lustigen Spieles;

Da nickt mir ein artig Kind ins Gesicht –

Ich weiß nicht, soll ich? Soll ich nicht?


Zur Strafe, dafür es jeden graut,

Ist der Himmel neben die Hölle gebaut,

Damit die armen, verdammten Seelen

Vergeblich horchend baß sich quälen.

Drum, teure Kinder, seid fromm und gut,

Besonders hütet euch für Wankelmut.


Wer lebenslang dir wohlgetan,

Verletzung rechne dem nicht an.


Auch ich verharre meiner Pflicht;

Der Schatten weicht der Sonne nicht.


Eignes Geschick geht mir nicht nah,

Der ich Königinnen weinen sah.


Und ein Gewebe, sollt es ewig sein?

Zerstört's die Magd nicht, reißt die Spinn es selber ein.
[375]

Der einmal ein Zaubrer hieß,

Eben weil er bezaubert war,

Sich von Seelchen beseelen ließ,

Weil ihm dies behagte gar,

Jetzt mit Wörtlein eingeschlungen

Steigert er des Liedes Drang,

Zeugnis, wie er selbst durchdrungen

Fühlet, was man fühlend sang.


Was soll der Stolz,

Das Gerede, der Spott?

So nimm doch Holz

Und schnitz auch einen Gott.


Um niemand zu schelten, um niemand zu preisen,

Darf ich euch nur aufs Alte verweisen:

Denn das ist klassisch im echten Sinn,

Was ihr jetzt seid und ich jetzt bin.


Den Dichter könnt ihr mir nicht nehmen,

Den Menschen geb ich euch preis;

Auch der darf sich nicht schämen,

Greift doch an euren Steiß.


Sie werden so lange votieren und schnacken,

Wir sehen endlich wieder Kosaken;

Die haben uns vom Tyrannen befreit,

Sie befrein uns auch wohl von der Freiheit.


Läßt sich einer zur Tafel läuten,

Das Essen hat wenig zu bedeuten.
[376]

Kann die Vorsicht größer sein,

Das Unheil zu entfernen!

Ich seh bei hellem Mondenschein

Nachtwächter mit Laternen.


Ämtchen bringen Käppchen,

Ämtchen bringen Läppchen;

Reißen oft die Kappen

Und das Kleid in Lappen.


Die Mächtigen wollte Gott verschönen –

Warum sollt ihnen das Volk nicht frönen?


Der Zeitungsleser sei gesegnet,

Der liest, was heute mir begegnet.


Wollte Gott die Menschen belehren,

Mußt er ihnen nicht den Rücken kehren;

Und sollten sie auf ihr Bestes passen,

Mußt er sich nicht schlecht behandeln lassen.


Euer Geflüster und leises Fispeln

Mag ich am Ende nicht mehr ertragen.

Nur, stille nur! wenn alle lispeln,

Wird einer es auch am Ende sagen.


Die Zwei Marien. Zwei Romane


Der hat's den Engeln, der den Teufeln abgelauscht;

Franzos und Deutscher haben die Rollen getauscht.
[377]


Quodlibet


Treib es mit ihm, wie dir's gefällt,

Auch Grobheit wird dir was erwerben.

Er ist der gründlichste Schuft von der Welt,

Man kann es nie mit ihm verderben.


So sehr dir auch der Topf gefällt,

Was nutzen dir zuletzt die Scherben?

Er ist der gründlichste Schuft von der Welt,

Man kann es nicht mehr mit ihm verderben.


Fahre fort im Sündenleben,

Wirst den vier Winden noch Tritte geben.


Trauerreglement


Dieses Heft Persönlichkeiten

Spar ich euch auf späte Zeiten:

Scheidend will ich nicht betrüben,

Ihr sollt lachen, meine Lieben.


Er ist noch weit vom Schluß entfernt,

Er hat das Ende nicht gelernt.


Die ihrem Mann allein gewährt vergnügte Stunden,

Ich gehe noch herum! ich hab sie nicht gefunden.


Du nimmst zuletzt doch auch

Für deine Schriften,[378]

So wie es ist der Brauch,

Reichliche Giften.


An den neuen Sankt Antonius


Herr Bruder,

Welch ein Luder

Bringst du in deine Einsiedelei!

Ohne Zweifel,

Dich versucht der Teufel.

Gott steh uns bei!


Die Pest an Herrn Posselt


Man sucht mich von des Meeres Strand,

Von Landes Grenze zu entfernen,

Doch hoff ich sehr, dein Vaterland

Soll mich auch nächstens kennenlernen.

Der Bettler jammert wie der Fürst,

Die Kleinen heulen wie die Großen;

Doch hoff ich, daß du mich so höchlich preisen wirst

Wie meine Vettern, die Franzosen.


Willst du noch die Teufel bannen

Mit dem Fluch aus deutschem Herzen,

Da Tyrannen nach Tyrannen

Mark erdrücken und verscherzen?


Ihr Bestien, ihr wolltet glauben,

Ich sollte höflich sein?

Der Hund, der seine Steine kennt,

Er scheißt auch auf den Stein.
[379]

Dem Hülfsbedürft'gen immerdar bereit!


J.


Und du versprichst, es gilt für alle Zeit?


R.


Jetzt heiß ich Rom, dann heiß ich Menschlichkeit.


Ein jeder lese, was der eine schrieb,

Ein jeder sage dir: du bist uns lieb.


Gott, heißt es, schied die Finsternis vom Licht,

Doch mocht es ihm nicht ganz gelingen,

Denn wenn das Licht in Farben sich erbricht,

Mußt es vorher die Finsternis verschlingen.


Wer aber das Licht in Farben will spalten,

Den mußt du für einen Affen halten.

Sie sagen's auch nur, weil sie's gelernt;

Das Untersuchen ist weit entfernt.


Einer machte das Hokuspokus,

Die andern fanden's großen Jokus

Und tanzen nun zu unsrer Plag

Taranteltanz bis auf diesen Tag.


Bei Saadi, gedenk ich mich,

Ist hundertsechzehn Jahr alt worden.

Er hat mehr ausgestanden als ich,

Und ich bin doch von seinem Orden.
[380]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 368-381.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
(Gedichte. Nachlese)
Die Leiden des jungen Werther: Reclam XL - Text und Kontext
Faust: Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust
Faust Eine Tragödie: Erster und zweiter Teil
Die Leiden des jungen Werther (insel taschenbuch)
Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation zu Goethe. Die Leiden des jungen Werther. Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon