Vierter Akt


[174] Im Wald.

Satyros, Hermes, Psyche, Arsinoe, das Volk sitzen in einem Kreise, alle gekauert wie die Eichhörnchen, haben Kastanien in den Händen und nagen daran.


HERMES für sich.

Sackerment! ich habe schon

Von der neuen Religion

Eine verfluchte Indigestion!

SATYROS.

Und bereitet zu dem tiefen Gang

Aller Erkenntnis, horchet meinem Gesang!

Vernehmt, wie im Unding

Alles durcheinanderging;

Im verschloßnen Haß die Elemente tosend,

Und Kraft an Kräften widrig sich stoßend,

Ohne Feindsband, ohne Freundsband,

Ohne Zerstören, ohne Vermehren.[174]

DAS VOLK.

Lehr uns! wir hören!

SATYROS.

Wie im Unding das Urding erquoll,

Lichtsmacht durch die Nacht scholl,

Durchdrang die Tiefen der Wesen all,

Daß aufkeimte Begehrungsschwall

Und die Elemente sich erschlossen,

Mit Hunger ineinander ergossen,

Alldurchdringend, alldurchdrungen.

HERMES.

Des Mannes Geist ist von Göttern entsprungen.

SATYROS.

Wie sich Haß und Lieb gebar

Und das All nun ein Ganzes war,

Und das Ganze klang

In lebend wirkendem Ebengesang,

Sich täte Kraft in Kraft verzehren,

Sich täte Kraft in Kraft vermehren,

Und auf und ab sich rollend ging

Das all und ein und ewig Ding,

Immer verändert, immer beständig!

DAS VOLK.

Er ist ein Gott!

HERMES.

Wie wird die Seele lebendig

Vom Feuer seiner Rede!

DAS VOLK.

Gott! Gott!

PSYCHE.

Heiliger Prophete,

Gottheit! an deinen Worten, an deinen Blicken

Ich sterbe vor Entzücken!

DAS VOLK.

Sinkt nieder!

Betet an!

EINER.

Sei uns gnädig!

EIN ANDRER.

Wundertätig

Und herrlich!

DAS VOLK.

Nimm dies Opfer an!

EINER.

Die Finsternis ist vergangen.

DAS VOLK.

Nimm dies Opfer an!

EINER.

Der Tag bricht herein.[175]

DAS VOLK.

Wir sind dein!

Gott, dein! ganz dein!


Der Einsiedler kommt durch den Wald gerade auf de Satyros zu.


EINSIEDLER.

Ah, saubrer Gast! find ich dich hier,

Du ungezogen schändlich Tier!

SATYROS.

Mit wem sprichst du?

EINSIEDLER.

Mit dir.

Wer hat bestohlen mich undankbar?

Meines Gottes Bild geraubet gar?

Du hinkender Teufel!

DAS VOLK.

Höllenspott!

Er lästert unsern herrlichen Gott!

EINSIEDLER.

Du wirst von keiner Schande rot.

DAS VOLK.

Der Lästrer hat verdient den Tod.

Steinigt ihn!

SATYROS.

Haltet ein!

Ich will nicht dabei zugegen sein.

DAS VOLK.

Sein unrein Blut, du himmlisch Licht!

Fließ fern von deinem Angesicht.

SATYROS.

Ich gehe.

DAS VOLK.

Doch verlaß uns nicht!


Satyros ab.


EINSIEDLER.

Seid ihr toll?

HERMES.

Unseliger, kein Wort!

Bringt ihn an einen sichern Ort!

Geht, verschließt ihn in meine Wohnung.


Sie führen den Einsiedler ab.


DAS VOLK.

Sterben soll er!

HERMES.

Er verdient keine Schonung.

Und zu versühnen den himmlischen Geist,

Der uns sich so gnädig und liebreich erweist,

Wollen wir ihm unsern Tempel weihn

Und mit dem blutigen Opfer erfreun.[176]

DAS VOLK.

Wohl! Wohl!

HERMES.

Zur Gottheit Füßen

Den Frevel zu büßen.

DAS VOLK.

Das Verbrechen

Zu rächen,

Zu tilgen den Spott.

ALLE.

Zernichtet die Lästrer,

Verherrlichet Gott!


Ende des vierten Akts.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 174-177.
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