Pharsalische Felder.


[215] Finsternis.


ERICHTHO.

Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,

Tret' ich einher, Erichtho, ich, die düstere;

Nicht so abscheulich, wie die leidigen Dichter mich

Im Übermaß verlästern ... Endigen sie doch nie

In Lob und Tadel ... Überbleicht erscheint mir schon

Von grauer Zelten Woge weit das Tal dahin,

Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.

Wie oft schon wiederholt' sich's! wird sich immerfort

Ins Ewige wiederholen ... Keiner gönnt das Reich

Dem andern; dem gönnt's keiner, der's mit Kraft erwarb

Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst

Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern

Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß ...

Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:

Wie sich Gewalt Gewaltigeren entgegenstellt,

Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt,

Der starre Lorbeer sich ums Haupt des Herrschers biegt.

Hier träumte Magnus früher Größe Blütentag,

Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!

Das wird sich messen. Weiß die Welt doch, wem's gelang.


Wachfeuer glühen, rote Flammen spendende,

Der Boden haucht vergoßnen Blutes Widerschein,

Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,

Versammelt sich hellenischer Sage Legion.

Um alle Feuer schwankt unsicher oder sitzt

Behaglich alter Tage fabelhaft Gebild ...

Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,

Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;

Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.


Doch über mir! welch unerwartet Meteor?

Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.

Ich wittre Leben. Da geziemen will mir's nicht,

Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;[215]

Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.

Schon sinkt es nieder. Weich' ich aus mit Wohlbedacht!


Entfernt sich.

Die Luftfahrer oben.


HOMUNCULUS.

Schwebe noch einmal die Runde

Über Flamm- und Schaudergrauen;

Ist es doch in Tal und Grunde

Gar gespenstisch anzuschauen.

MEPHISTOPHELES.

Seh' ich, wie durchs alte Fenster

In des Nordens Wust und Graus,

Ganz abscheuliche Gespenster,

Bin ich hier wie dort zu Haus.

HOMUNCULUS.

Sieh! da schreitet eine Lange

Weiten Schrittes vor uns hin.

MEPHISTOPHELES.

Ist es doch, als wär' ihr bange;

Sah uns durch die Lüfte ziehn.

HOMUNCULUS.

Laß sie schreiten! setz ihn nieder,

Deinen Ritter, und sogleich

Kehret ihm das Leben wieder,

Denn er sucht's im Fabelreich.

FAUST den Boden berührend.

Wo ist sie? –

HOMUNCULUS.

Wüßten's nicht zu sagen,

Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.

In Eile magst du, eh' es tagt,

Von Flamm' zu Flamme spürend gehen:

Wer zu den Müttern sich gewagt,

Hat weiter nichts zu überstehen.

MEPHISTOPHELES.

Auch ich bin hier an meinem Teil;

Doch wüßt' ich Besseres nicht zu unserm Heil,

Als: jeder möge durch die Feuer

Versuchen sich sein eigen Abenteuer.

Dann, um uns wieder zu vereinen,

Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.

HOMUNCULUS.

So soll es blitzen, soll es klingen.


Das Glas dröhnt und leuchtet gewaltig.


Nun frisch zu neuen Wunderdingen!

FAUST allein.

Wo ist sie? – Frage jetzt nicht weiter nach ...

Wär's nicht die Scholle, die sie trug,[216]

Die Welle nicht, die ihr entgegenschlug,

So ist's die Luft, die ihre Sprache sprach.

Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!

Ich fühlte gleich den Boden, wo ich stand;

Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,

So steh' ich, ein Antäus an Gemüte.

Und find' ich hier das Seltsamste beisammen,

Durchforsch' ich ernst dies Labyrinth der Flammen.


Entfernt sich.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 215-217.
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