An Joh. Hübnern

[164] Ihr Bürger der gelehrten Hügel,

Wo vormals Witz und Geist entsproß:

Wo Pegasus mit schnellem Flügel

Durch die getheilten Lüfte schoß.

Ihr Schüler kluger Castalinnen,

Seht uns nur nicht verächtlich an;

Wißt, daß auch unsrer Berge Zinnen

Sich euch zu Trotz hervorgethan:

Es quillt aus neuerfundnen Künsten

Ein neuer Strom von Dichterdünsten.


Du Vater, matter Pieriden!

O Hübner, deiner Zeiten Preis!

Komm, hilf mir seltne Reime schmieden,

Weil Phöbus nicht den Kunstgriff weis.

Dein theures Handbuch sey mein Meister,

Wenn Witz und Einfall mir entweicht:

Denn du bereicherst ja die Geister,

Die sich das Musenchor verscheucht.

Drum laß aus weitgesuchten Reimen,

Mir manchen fremden Ausdruck keimen!


Gepriesen sey dein Wortregister!

Das uns der Töne Sippschaft weist,

Wenn man, wie Simson die Philister,

Die Wörter auf einander schmeißt.

Erst beißt sich Bav die stumpfen Nägel,

Sein Einfall stockt, sein Geist ist todt:

Kaum bläst dein Rath in seine Segel,

So lacht ihm schon ein Morgenroth,

Und kurz, er trägt die Hippokrene

Von deinem Alphabeth zu Lehne.[165]

Wie mancher Geist wird in der Ode,

Darinn Verwirrung Tugend ist,

Im andern Absatz schon marode;

Wo du nicht sein Erretter bist.

Doch fragt er dich, als sein Orakel,

So fließt sein Vers, wie Rhodanus.

Und wenn Orbil, mit Ruth und Bakel,

Der Schüler Rücken gerben muß:

So fehlt dem armen Schulminister

Nichts, als dein güldnes Reimturnister.


Wie daurt ihr mich, ihr alten Dichter!

Die Griechenland und Rom verklärt:

Ihr reimtet nicht, drum hat kein Trichter

Den leeren Schedeln Trost gewährt.

Doch hättet ihr der Zeilen Schwänze,

Gleich jenen Füchsen, recht verknüpft;

So wären euch die Epheukränze

Von selbsten auf den Kopf gehüpft.

Und den erkrißnen Weisheitssprüchen

Wär auch die Pythia gewichen.


Ach schimpft nicht die Postillenreiter,

Die Helden aus der Concordanz.

Ein neuer Poesie-Gefreyter

Sucht in den Reimen Witz und Glanz.

Er reitet Hübners Sylbenfächer,

Die trifft er nie Gedankenleer:

Hier schöpft er Witz mit vollem Becher,

So wird ihm kein Gedichte schwer.

Und sonder Männlings Vorrathskammern

Ist jeder Dichter zu bejammern.[166]

Nur weg Vernunft, mit deinen Fesseln,

Sie hindern freyer Geister Schwung.

In deiner Schranken festen Sesseln

Wagt niemand einen kühnen Sprung.

Ein feiger Knabe läßt sich gängeln;

Ein starker Fuß geht frisch einher.

Nur Icarus fliegt, gleich den Engeln,

Im Hohen über Land und Meer.

So muß man auch, auf Hübners Schwingen,

Bis an das blaue Sterndach dringen.


Gesetzt ich schriebe von der Leyer,

Und wüßte weiter nicht, wohin?

Mein Hübner tränkt mich mit Tockeyer:

Wie froh wird da mein matter Sinn!

Gesetzt ich sänge von der Cither,

Und stutzte gleichsam bey dem Reim:

Gleich brächte Hübner mir ein Gitter,

Und labte mich mit Honigseim!

Ja käm ich irgend auf die Musen:

So fänd ich Trost an ihrem Busen.


Kurz, Reime sind der Dichter Flügel,

Und kleiner Geister Steckenpferd,

Die Stuffen zu dem Pindushügel,

Und der Gedanken Vogelheerd.

Sie sind des hohen Geistes Eimer;

Ein Netz, so manchen Einfall fängt,

Dadurch ein wohlgeübter Reimer

Fast alles in die Zeilen drängt;

Und will kein Flügelroß dir traben:

So kannst du Witz aus Hübnern graben.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 164-167.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon