Clara Wieck und Beethoven

[254] (F-moll-Sonate)


Ein Wundermann, der Welt, des Lebens satt,

Schloß seine Zauber grollend ein

In festverwahrten, demantharten Schrein,

Und warf den Schlüssel in das Meer und starb.

Die Menschlein mühen sich geschäftig ab,

Umsonst! kein Sperrzeug löst das harte Schloß,

Und seine Zauber schlafen wie ihr Meister.

Ein Schäferkind, am Strand des Meeres spielend,

Sieht zu der hastig unberufnen Jagd.

Sinnvoll gedankenlos, wie Mädchen sind,

Senkt sie die weißen Finger in die Flut

Und faßt, und hebt, und hats. – Es ist der Schlüssel!

Auf springt sie, auf, mit höhern Herzensschlägen,

Der Schrein blinkt wie aus Augen ihr entgegen,

Der Schlüssel paßt. Der Deckel fliegt. Die Geister,

Sie steigen auf und senken dienend sich

Der anmutreichen, unschuldsvollen Herrin,

Die sie mit weißen Fingern, spielend, lenkt.


(Wien am 7. Jänner 1838)


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 254-255.
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