Worte des Abschieds

[290] Dem hochwürdigen Herrn Laurenz Hubert, Priester aus dem Orden der frommen Schulen, Professor der Humanitäts-Klassen am k.k. akademischen Gymnasium zu Wien, etc. etc. dargebracht von seinen dankbaren Schülern.


Verfaßt von Franz Grillparzer, gesprochen von Ferdinand Doctor im August 1843


Der Musen Stimme, gleich dem Chor der Sphären,

Ist nur dem Eingeweihten süße Melodie,

Der Neuling glaubt des Donners Ruf zu hören,

Im Anfang, statt zu schmeicheln, schrecken sie.


Und wer das Feld des Wissens und des Wahren

Zuerst betritt – ihm eine neue Welt –

Wo er nicht Ziel, nicht Richtung mag gewahren,

Für eine Wüste hält er das betretne Feld;


Wo Pfade sich mit Pfaden wild verschlingen,

Der Stein die Ferse feindlich ihm berührt,

Kein Aug das dunkle Dickicht mag durchdringen,

Durch das der Weg ansteigend aufwärts führt.


Wohl ihm! wenn aus dem Chor verworrner Stimmen

Ihm eine wohlbekannte Stimme tönt,

Ermutigend, nur rüstig fortzuklimmen,

Bis sich der Aussicht Kreis von selbst verschönt;


Wenn ihm ein Aug, das oft den Zweifel scheuchte,

Vorangeht, und bald vor, bald rück gewandt,[290]

Durch Klüfte strahlt, wie eine milde Leuchte,

Den Blick begleitend mit der Helferhand.


Bis nun des Berges erster Hang erklommen,

Der Waller rückschaut in das tiefe Tal,

Aus dem er, ein Verzagender, gekommen,

Wie hebt sich da die Brust mit einemmal.


Und niederstürzend auf die Kniee, breitet

Er aus die Hand, und strömt des Dankes viel

Dem Himmel und dem Mann, der ihn geleitet,

Den Weg verbürgend und im Weg das Ziel.


So stehn wir heut, nicht mehr der Zukunft bange,

Durch dich geführt, durch deine Glut geweiht,

Nun auf des steilen Berges erstem Hange,

Wo sich der Knabe an den Jüngling reiht.


Zwar ist der Weg noch lang, das Ziel noch ferne,

Und rauh und drohend, was noch vor uns liegt,

Nur, wenn sonst zögernd, klimmen wir nun gerne,

Wir wissen, wie man Schwieriges besiegt.


Doch während wir an Künftigem uns weiden,

Durchzuckt ein heißer Schmerz die bange Brust,

Es gilt zugleich, von ihm, dem Mann, zu scheiden,

Der uns der Arbeit Mühn verkehrt in Lust,


Und neu beschleicht die Bangigkeit uns wieder;

Da tönts von fern wie leiser Flügel Schwung,

Ein Genius schwebt auf leuchtendem Gefieder,

Der Jetzt und Einst verknüpft: Erinnerung.


Uns bleibt dein Bild, daß deiner Augen Sterne

Auch künftig ob uns strahlen mildes Licht,

Auf daß dein Mund, ob lautlos durch die Ferne,

Dem Herzen doch vernehmlich, zu uns spricht.


Und da Gefühle mitgefühlt nur heilen,

Vergiß auch du uns nicht, die schwach und jung,

Und wie wir heut den Scheidebecher teilen,

So teile mit uns – die Erinnerung.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 290-291.
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