[Verbindender Text zu Mendelssohns Sommernachtstraum-Musik]

[345] Ihr seid versammelt hier und seid gespannt,

Ein Tonwerk anzuhören, weit bekannt,

Das hoch und tief, wie heutzutag der Brauch,

Sich übrall Platz gemacht und so bei uns denn auch.

Ihr werdets hören jetzt und zwar im Reich der Töne,

So gut als irgendwo: wir sind noch Mozarts Söhne.

Beethoven, Haydn, Meister edler Art,

Sie wirken, obgleich schwach, noch in die Gegenwart.

Doch heut genügt das nicht, denn Mendelssohns Musik

Lehnt sich dramatisch an ein Bühnenstück,

Das Stück nun können wir euch vor nicht führen,

Deshalb ward ich gesandt, es euch zu explizieren.[345]

Das fällt mir schwer. Shakespeare ist Proteus-gleich:

Glaubt ihr zu halten ihn, so lacht er fern von euch.

Doch muß es, so geschehs. Wir fassens mutig an,

Ein Schelm tut mehr, als er nun eben kann.

Doch zum Beginn und eh wir weiter gehen,

Sagt mir: glaubt ihr an Elfen oder Feen?

Glaubt ihr? dann gut; wenn aber nicht,

Dann geht ihr fehl im Leben und Gedicht.

Der Teufel ist der Vater alles Bösen,

Wir beten drum, von ihm uns zu erlösen.

Allein das Böse, schwarz, in vollem Grimme,

Ist lange noch nicht alles Schief und Schlimme,

Die Torheit ist noch da mit ihrem Mittleramt,

Die halb von ihm und halb von Oben stammt.

Ihr liebt, da ist die Huldin eine Fee,

Zürnt ihr, steht euch ein Kobold in der Näh.

Ihr wünscht, ihr hofft, ihr seid begeistert –

Wie mans nun eben ist, nicht meisternd, nur bemeistert –

Da seid ihr denn, ich kann nicht helfen,

Besessen, nicht vom Teufel, doch von Elfen,

Und daß sies sind, zeigt schon das öde Nichts,

In das der Wahn zerrinnt beim ersten Strahl des Lichts.

Doch auch was schön und anmutsvoll im Leben,

Ist diesen Mächten in die Hand gegeben,

Die Neigung, das Vertraun, die Feindesliebe,

Was nützlicher vielleicht, wenns unterbliebe,

Und doch, indems der Klugheit Bann entschlüpft,

Die Bande zwischen Mensch und Menschen knüpft:

Des Dichters Lied, des Malers Meisterstück,

Wenn ihr, erfaßt vom Zauber der Musik,

Euch besser fühlt, und habt doch nichts getan,

Und reicher, obgleich keiner was gewann,

Und höher, obgleich stets vom selben Maß,

Und wissend, freilich nicht wovon und was,

Und nicht nur so euch fühlt, nein wirklich seid:

So denkt, es fiel in eure Spanne Zeit

Ein Strahl vom Jenseits, das uns noch verborgen,

Ein Wintertraum von einem Sommermorgen.[346]

Und jene Mächte habens dort gesehn

Und kündens halb, weil sies nur halb verstehn.

Das ist der Boden, den wir heut gewählt:

Die Torheit, die der Weisheit sich vermählt.

Doch horch! es rauscht in ungeduldgen Geigen!

Das sind die Elfen selbst. Da muß der Redner schweigen.


Ouvertüre

Doch nun genug in leerer Luft geschwärmt,

Es mahnt uns jetzt der menschlich feste Stoff,

Der unserm Wunderspiel zugrunde liegt.

Ein Herzog in Athen, Theseus genannt,

Den ihr als Theseus kennt, als Herzog freilich nicht,

Bereitet seine Hochzeit mit Hippolyta,

Der Amazonin, die sein Schwert besiegt,

Ein Paar wie keines, fest und klug und tüchtig.

Doch um sie her dreht sich ein Kreis von Menschen,

Die ihren Zoll der Menschheit tragen ab,

Das Gute fliehend und den Schaden suchend.

Ein Vater Ägeus will die Tochter Hermia,

Die glüht für einen Mann Demetrius,

Zur Heirat polternd zwingen mit Lysander.

Er ist ein Tor, weil er die Tochter zwingt,

Lysander ist nicht klug, weil er von Zwang

Erwartet, was nur Neigung geben kann.

Demetrius bleibt jetzt noch aus dem Spiel,

Doch Hermia, sonst ein Mädchen richtgen Sinns,

Beginnt zu wanken, da sie notgedrängt

Zu fliehn einwilligt mit Demetrius

Im Wald bei Nacht, zu zwein, was höchst bedenklich.

Zwar vorderhand stürmts in den Herzen nur,

Doch mischen sich die Geister erst ins Spiel,

Und wärens Menschengeister etwa nur –

Wir habens angesehn, was der Verstand,

Der sich in sich und durch sich selbst verwirrt,

Für leere Blasen wirft, mitunter blutge. –

Hier aber sind es Poltergeister gar,

Die Elfen, die, halb selber sich zum Spaß,[347]

Halb wirklich hilfreich, in die Fäden greifen,

Doch lösen wollend, fester ziehn den Knäul.

Und die Verwirrenden sind selbst verwirrt,

Sie streiten. Oberon und Titania

Sind uneins eines holden Knäbleins wegen,

Das sie behalten will, er aber fordert.

Ja, bis zur Trennung steigert sich der Streit,

Und Oberon eilt fort und sinnt auf Rache.

Titania indes, gelehnt in weiches Gras,

Sieht zu der Elfen müßigem Getrieb:

Nicht daß sie nichts tun, das wär träg und schläfrig

Und nicht die Art von solchen Schwebegeistern,

Die immer etwas tun, welch Etwas aber Nichts:

Das ist nun so der Schwindelgeister Art.

Allein die unsern sind so liebenswert,

So klein und doch so groß, so schwach und wieder mächtig,

Halb Menschen ähnlich und halb Göttern gleich,

Daß man sie liebt, man woll es oder nicht.

Ihr merkt, ihr Wesen ist so ziemlich musikalisch,

Die einzge Kunst, die, ohne weitern Zweck,

Sich selbst nur will, im Ernst sogar noch Spiel.

Ausweichend, trifft sie sich, stets auf der Flucht,

Verschlingt sie sich in ihren eignen Ketten

Und löst sie und ist frei, wie jede Kunst.


1. Entreakt


...

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 345-348.
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