Dritter Auftritt

[720] Sappho. Phaon.


SAPPHO.

Siehst du, mein Freund, so lebt nun deine Sappho!

Für Wohltat Dank, für Liebe – Freundlichkeit.

So ward mirs stets im Wechseltausch des Lebens;[720]

Ich war zufrieden und bin hoch beglückt,

Gibst du auch halb nur wieder das Empfangne,

Wenn du dich nicht für übervorteilt hältst.

Ich hab gelernt verlieren und entbehren;

Die beiden Eltern sanken früh ins Grab,

Und die Geschwister, nach so mancher Wunde,

Die sie dem treuen Schwesterherzen schlugen,

Teils Schicksals Laune und teils eigne Schuld

Stieß früh sie schon zum Acheron hinunter.

Ich weiß wie Undank brennt, wie Falschheit martert,

Der Freundschaft und der – Liebe Täuschungen

Hab ich in diesem Busen schon empfunden,

Ich hab gelernt verlieren und entbehren!

Nur eins verlieren könnt ich wahrlich nicht,

Dich, Phaon, deine Freundschaft, deine Liebe!

Drum, mein Geliebter, prüfe dich!

Du kennst noch nicht die Unermeßlichkeit,

Die auf und nieder wogt in dieser Brust.

O laß michs nie, Geliebter, nie erfahren,

Daß ich den vollen Busen legte an den deinen

Und fänd ihn leer!

PHAON.

Erhabne Frau!

SAPPHO.

Nicht so!

Sagt dir dein Herz denn keinen süßern Namen?

PHAON.

Weiß ich doch kaum, was ich beginne, was ich sage.

Aus meines Lebens stiller Niedrigkeit

Hervorgezogen – an den Strahl des Lichts,

Auf einen luftgen Gipfel hingestellt,

Nach dem der Besten Wünsche fruchtlos zielen,

Erliege ich der unverhofften Wonne,

Kann ich mich selbst in all dem Glück nicht finden.

Die Wälder und die Ufer seh ich fliehn,

Die blauen Höhn, die niedern Hütten schwinden,

Und kaum vermag ichs, mich zu überzeugen,

Daß alles fest steht und nur ich es bin,

Der auf des Glückes Wogen taumelnd wird getragen.

SAPPHO.

Du schmeichelst süß, doch, Lieber, schmeichelst du![721]

PHAON.

Und bist du wirklich denn die hohe Frau,

Die von der Pelops-Insel fernstem Strand

Bis dahin, wo des rauhen Thrakers Berge

Sich an die lebensfrohe Hellas knüpfen,

Auf jedem Punkt, den, Land und Menschen fern,

Ins Griechenmeer Kronions Hand geschleudert,

An Asiens reicher, sonnenheller Küste,

Allüberall, wo nur ein griechscher Mund

Die heitre Göttersprache singend spricht,

Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?

Und bist du wirklich jene hohe Frau,

Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling,

Der dunkel, ohne Namen, ohne Ruf,

Sich höhern Werts nicht rühmt als – diese Leier,

Die man verehrt, weil du sie hast berührt.

SAPPHO.

Pfui doch, der argen, schlechtgestimmten Leier!

Tönt sie, berührt, der eignen Herrin Lob?

PHAON.

O, seit ich denke, seit die schwache Hand

Der Leier Saiten selber schwankend prüfte,

Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!

Wenn ich in der Geschwister frohem Kreise

An meiner Eltern niederm Herde saß,

Und nun Theano, meine gute Schwester,

Die Rolle von dem schwarzen Simse holte,

Ein Lied von dir, von Sappho uns zu sagen,

Wie schwiegen da die lauten Jünglinge,

Wie rückten da die Mädchen knapp zusammen,

Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren;

Und wenn sie nun begann, vom schönen Jüngling,

Der Liebesgöttin liebeglühnden Sang,

Die Klage einsam hingewachter Nacht,

Von Andromedens und von Atthis Spielen,

Wie lauschte jedes, seinen Atemzug,

Der lusterfüllt den Busen höher schwellte,

Ob allzulauter Störung still verklagend.

Dann legte wohl die sinnige Theano

Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne

Und in der Hütte räumig Dunkel blickend,[722]

Sprach sie, wie mag sie aussehn wohl, die Hohe?

Mir dünkt, ich sehe sie! Bei allen Göttern,

Aus tausend Frauen wollt ich sie erkennen.

Da war der Zunge Fessel schnell gelöst

Und jedes quälte seine Phantasie,

Mit einem neuen Reize dich zu schmücken,

Der gab dir Pallas Aug, der Heres Arm,

Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;

Nur ich stand schweigend auf und ging hinaus

Ins einsam stille Reich der heilgen Nacht.

Dort an den Pulsen der süß schlummernden Natur,

In ihres Zaubers magisch-mächtgen Kreisen,

Da breitet ich die Arme nach dir aus;

Und wenn mir dann der Wolken Flockenschnee,

Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,

Des bleichen Mondes silberweißes Licht

In eins verschmolzen um die Stirne floß,

Dann warst du mein, dann fühlt ich deine Nähe,

Und Sapphos Bild schwamm in den lichten Wolken!

SAPPHO.

Du schmückest mich von deinem eignen Reichtum,

Weh, nähmst du das Geliehne je zurück!

PHAON.

Und als der Vater nach Olympia

Mich zu des Wagenlaufes Streit nun sandte,

Und auf dem ganzen Wege mirs erscholl,

Daß Sapphos Leier um der Dichtkunst Krone

In diesem Kampfe streiten, siegen werde;

Da schwoll das Herz von sehnendem Verlangen

Und meine Renner sanken tot am Wege,

Eh ich Olympias Türme noch erschaut.

Ich langte an, der Wagen flüchtger Lauf,

Der Ringer Kunst, des Diskus frohes Spiel

Berührten nicht den ahnungsvollen Sinn;

Ich fragte nicht, wer sich den Preis errungen,

Hatt ich den schönsten, höchsten doch erreicht,

Ich sollte sie sehn, sie, der Frauen Krone.

Jetzt kam der Tag für des Gesanges Kämpfe.

Alkäos sang, Anakreon, umsonst,

Sie konnten meiner Sinne Band nicht lösen.[723]

Da, horch! Da tönt Gemurmel durch das Volk,

Da teilt die Menge sich, jetzt wars geschehn. –

Mit einer goldnen Leier in der Hand

Trat eine Frau durchs staunende Gewühl.

Das Kleid, von weißer Unschuldfarbe, floß

Hernieder zu den lichtversagten Knöcheln,

Ein Bach, der über Blumenhügel strömt.

Der Saum, von grünen Palm- und Lorbeerzweigen,

Sprach, Ruhm und Frieden sinnig zart bezeichnend,

Aus, was der Dichter braucht und was ihn lohnt.

Wie rote Morgenwolken um die Sonne

Floß rings ein Purpurmantel um sie her

Und durch der Locken rabenschwarze Nacht

Erglänzt', ein Mond, das helle Diadem,

Der Herrschaft weithinleuchtend, hohes Zeichen –

Da riefs in mir: Die ist es; und du warsts.

Eh die Vermutung ich noch ausgesprochen,

Rief tausendstimmig mir des Volkes Jubel

Bestätigung der süßen Ahnung zu.

Wie du nun sangst, wie du nun siegtest, wie,

Geschmückt mit der Vollendung hoher Krone,

Nun in des Siegs Begeisterung die Leier

Der Hand entfällt, ich durch das Volk mich stürze

Und, von dem Blick der Siegerin getroffen,

Der blöde Jüngling schamentgeistert steht;

Das weißt du, Hohe, besser ja als ich,

Der ich, kaum halb erwacht, noch sinnend forsche,

Wieviel davon geschehn, wieviel ich nur geträumt.

SAPPHO.

Wohl weiß ichs, wie du stumm und schüchtern standst.

Das ganze Leben schien im Auge nur zu wohnen,

Das sparsam aufgehoben von dem Grund,

Den nicht verlöschten Funken laut genug bezeugte.

Ich hieß dich folgen und du folgtest mir

In ungewisses Staunen tief versenkt.

PHAON.

Wer glaubte auch, daß Hellas erste Frau

Auf Hellas letzten Jüngling würde schauen!

SAPPHO.

Dem Schicksal tust du Unrecht und dir selbst!

Verachte nicht der Götter goldne Gaben,[724]

Die sie bei der Geburt dem Kinde, das

Zum Vollgenuß des Lebens sie bestimmt,

Auf Wang und Stirn, in Herz und Busen gießen!

Gar sichre Stützen sinds, an die das Dasein

Die leichtzerrißnen Fäden knüpfen mag.

Des Leibes Schönheit ist ein schönes Gut

Und Lebenslust ein köstlicher Gewinn,

Der kühne Mut, der Weltgebieter Stärke,

Entschlossenheit und Lust an dem was ist,

Und Phantasie, hold dienend, wie sie soll,

Sie schmücken dieses Lebens rauhe Pfade,

Und leben ist ja doch des Lebens höchstes Ziel!

Umsonst nicht hat zum Schmuck der Musen Chor

Den unfruchtbaren Lorbeer sich erwählt,

Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt,

Dem er Ersatz versprach für manches Opfer.

Gar ängstlich steht sichs auf der Menschheit Höhn

Und ewig ist die arme Kunst gezwungen,


Mit ausgebreiteten Armen gegen Phaon.


Zu betteln von des Lebens Überfluß.

PHAON.

Was kannst du sagen, holde Zauberin,

Das man für wahr nicht hielte, da dus sagst?

SAPPHO.

Laß uns denn trachten, mein geliebter Freund,

Uns beider Kränze um die Stirn zu flechten,

Das Leben aus der Künste Taumelkelch,

Die Kunst zu schlürfen aus der Hand des Lebens.

Sieh diese Gegend, die der Erde halb

Und halb den Fluren, die die Lethe küßt,

An einfach stillem Reiz scheint zu gehören;

In diesen Grotten, diesen Rosenbüschen,

In dieser Säulen freundlichen Umgebung,

Hier wollen wir, gleich den Unsterblichen,

Für die kein Hunger ist und keine Sättigung,

Nur des Genusses ewig gleiche Lust,

Des schönen Daseins uns vereint erfreun.

Was mein ist, ist auch dein. Wenn dus gebrauchst,

So machst du erst, daß der Besitz mich freut.

Sieh um dich her, du stehst in deinem Hause.[725]

Den Dienern zeig ich dich als ihren Herrn,

Der Herrin Beispiel wird sie dienen lehren.

Heraus, ihr Mädchen! Sklaven! Hierher!

PHAON.

Sappho!

Wie kann ich so viel Güte je bezahlen?

Stets wachsend fast erdrückt mich meine Schuld!


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 720-726.
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