Das neunzehnte Kapitel.

[239] Simplex leidt Schiffbruch mit eim Zimmermann,

Kommen in ein Insel, richten sich an.


Meine Landsleut sprachen mir zu, daß ich mich anders kleiden ließe; und weil ich nichts zu tun hatte, machte ich Kundschaft zu allen Europäern, die mich beides, aus christlicher Liebe und meiner wunderbarlichen Begegnus halber gern um sich hatten und oft zu Gast luden. Und demnach sich schlechte Hoffnung erzeigte, daß der damascenische Krieg in Syria und Judäa bald ein Loch gewinnen würde, damit ich meine Reise nach Jerusalem wiederum vornehmen und vollenden möchte, ward ich andern Sinnes und entschloß mich, mit einer großen portugiesischen Kracke (so mit großem Kaufmannschatz nach Haus zu fahren wegfertig stund) in Portugal zu begeben, und anstatt der Wallfahrt nach Jerusalem, St. Jakob zu Kompostell zu besuchen, nachgehend aber mich irgends in Ruhe zu setzen und dasjenige, so mir Gott bescheret, zu verzehren. Und damit solches ohn meinen sondern Kosten (dann sobald ich so viel Geld kriegte, fieng ich an zu kargen) beschehen könnte, überkam ich mit dem portugesischen Oberkaufmann auf dem Schiff, daß er alles mein Geld annehmen, selbiges in seinen Nutzen verwenden, mir aber solches in Portugal wieder zustellen und interim anstatt Interesse mich auf das Schiff an seine Tafel nehmen und mit sich nach Haus führen sollte; dahingegen sollte ich mich zu allen Diensten[239] zu Wasser und Land, wie es die Gelegenheit und des Schiffs Notdurft erfodern würde, unverdrossen gebrauchen lassen. Also machte ich die Zeche ohn den Wirt, weil ich nicht wußte, was der liebe Gott mit mir zu verschaffen vorhatte; und nahm ich diese weite und gefährliche Reise um soviel desto begieriger vor, weil die verwichene auf dem Mittelländischen Meer so glücklich abgangen.

Als wir nun zu Schiff gangen, vom Sinu Arabico oder Roten Meer auf den Oceanum kommen und erwünschten Wind hatten, nahmen wir unsern Lauf, das Caput Bonae Speranzae zu passieren, segelten auch etliche Wochen so glücklich dahin, daß wir uns kein ander Wetter hätten wünschen können. Da wir aber vermeinten, nunmehr bald gegen der Insul Madagaskar über zu sein, erhub sich gähling solch ein Ungestüm, daß wir kaum Zeit hatten, die Segel einzunehmen. Solche vermehrete sich je länger je mehr, also daß wir auch die Mast abhauen und das Schiff dem Willen und Gewalt der Wellen lassen mußten. Dieselbe führten uns in die Höhe gleichsam an die Wolken, und im Augenblick senkten sie uns wiederum bis auf den Abgrund hinunter, welches bei einer halben Stunde währete und uns trefflich andächtig beten lernete. Endlich warfen sie uns auf eine verborgene Steinklippe mit solcher Stärke, daß das Schiff mit grausamen Krachen zu Stücken zerbrach, wovon sich ein jämmerlichs und elendes Geschrei erhub. Da ward dieselbe Gegend gleichsam in einem Augenblick mit Kisten, Ballen und Trümmern vom Schiff überstreuet; da sahe und hörte man hie und dort oben auf den Wellen und unten in der Tiefe die unglückseligen Leute an denjenigen Sachen hangen, die ihnen in solcher Not am allerersten in die Hände geraten waren, welche mit elendem Geheul ihren Untergang bejammerten und ihre Seelen Gott befohlen. Ich und ein Zimmermann lagen auf einem großen Stück vom Schiff, welches etliche Zwerchhölzer behalten hatte, daran wir sich festhielten und einander zusprachen. Mithin legten sich die grausame Winde allgemach, davon die wütende Wellen des zornigen Meers sich nach und nach besänftigten und geringer wurden; hingegen aber folgte die stickfinstere Nacht mit einem schröcklichen Platzregen, daß es das Ansehen hatte, als hätten wir mitten im Meer von oben herab ersauft werden sollen. Das währete bis um Mitternacht, in welcher Zeit wir große Not erlitten hatten. Darauf ward der Himmel wieder klar, also daß wir das Gestirn sehen konnten, an welchem wir vermerkten, daß uns der Wind je länger je mehr von der Seiten Africae in das weite Meer gegen Terram Australem[240] incognitam hineintriebe, welches uns beide sehr bestürzt machte. Gegen Tag wurd es abermal so dunkel, daß wir einander nicht sehen konnten, wiewohl wir nahe beieinander lagen. In dieser Finsternus und erbärmlichen Zustand trieben wir immer fort, bis wir unversehens inwurden, daß wir auf dem Grund sitzenblieben und stillhielten. Der Zimmermann hatte eine Axt in seinem Gürtel stecken, damit visitierte er die Tiefe des Wassers und fand auf der einen Seite nicht wohl Schuh tief Wassers, welches uns herzlich erfreuete und unzweifelige Hoffnung gab, Gott hätte uns irgendshin an Land geholfen, daß uns auch ein lieblicher Geruch zu verstehen gab, den wir empfanden, als wir wieder ein wenig zu uns selbst kamen. Weil es aber so finster und wir beide ganz abgemattet, zumalen des Tags ehistes gewärtig waren, hatten wir nicht das Herz, sich ins Wasser zu legen und solches Land zu suchen, unangesehen wir allbereit weit von uns etliche Vögel singen zu hören vermeineten, wie es dann auch nicht anders war. Sobald sich aber der liebe Tag im Osten ein wenig erzeigte, sahen wir durch die Düstere ein wenig Land, mit Büschen bewachsen, allernächst vor uns liegen; derowegen begaben wir sich alsobald gegen demselbigen ins Wasser, welches je länger je seichter ward, bis wir endlich mit großen Freuden auf das truckene Land kamen. Da fielen wir nieder auf die Kniee, küßten den Erdboden und danketen Gott im Himmel, daß er uns so vätterlich erhalten und ans Land gebracht hatte. Und solchergestalt bin ich in diese Insel kommen.

Wir konnten noch nicht wissen, ob wir auf einem bewohnten oder unbewohnten, auf einem festen Land oder nur auf einer Insul waren; aber das merkten wir gleich, daß es ein trefflicher, fruchtbarer Erdboden sein müßte, weil alles vor uns gleichsam so dick wie ein Hanfacker mit Büschen und Bäumen bewachsen war, also daß wir kaum dadurch kommen konnten. Als es aber völlig Tag worden und wir etwan eine Viertelstunde Wegs vom Gestad an durch die Büsche geschloffen und derorten nicht allein keine einzige Anzeigung einziger menschlichen Wohnung verspüren konnten, sondern noch darzu hin und wieder viel fremde Vögel, die sich gar nichts vor uns scheueten, ja mit den Händen fangen ließen, antrafen, konnten wir unschwer erachten, daß wir auf einer zwar unbekannten, jedoch aber sehr fruchtbaren Insul sein müßten. Wir fanden Zitronen, Pomeranzen und Kokos, mit welchen Früchten wir sich trefflich wohl erquickten; und als die Sonne aufgieng, kamen wir auf eine Ebne, welche überall mit Palmen (davon man den Vin de Palm[241] hat) bewachsen war, welches meinen Kameraden, der denselbigen nur viel zu gern trank, auch mehr als zuviel erfreuete. Daselbsthin satzten wir sich nieder an die Sonne, unsere Kleider zu trücknen, wel che wir auszogen und zu solchem Ende an die Bäume aufhängten, vor uns selbst aber in Hemdern herumspazierten. Mein Zimmermann hieb mit seiner Axt in einen Palmitenbaum und befand, daß sie reich von Wein waren; wir hatten aber darum kein Geschirr, solchen aufzufangen, wie wir dann auch beide unsere Hüte im Schiffbruch verloren.

Als die liebe Sonne nun unsere Kleider getrücknet, zogen wir selbige an und stiegen auf das felsichte hohe Gebürge, so auf der rechten Hand gegen Mitternacht zwischen dieser Ebne und dem Meer lieget, und sahen sich um, befanden auch gleich, daß wir auf keinem festen Land, sondern nur in dieser Insul waren, welche im Umkreis über anderthalbe Stunde Gehens nicht begriffe, und weil wir weder nahe noch fern keine Landschaft, sondern nur Wasser und Himmel sahen, wurden wir beide betrübt und verloren alle Hoffnung, inskünftige wiederum Menschen zu sehen; doch tröstete uns hinwiederum, daß uns die Güte Gottes an diesen gleichsam sichern und allerfruchtbarsten, und nicht an einen solchen Ort gesendet hatte, der etwan unfruchtbar oder mit Menschenfressern bewohnet gewesen wäre. Darauf fiengen wir an zu gedenken, was uns zu tun oder zu lassen sein möchte; und weil wir gleichsam wie Gefangene in dieser Insul beieinander leben mußten, schwuren wir einander beständige Treue. Das besagte Gebürge saß und flog nicht allein voller Vögel von unterschiedlichen Geschlechten, sondern es lag auch so voll Nester mit Eiern, daß wir sich nicht gnugsam darüber verwundern konnten. Wir tranken deren Eier etliche aus und nahmen noch mehr mit uns das Gebürge herunter, an welchem wir die Quelle des süßen Wassers fanden, welches sich gegen Osten so stark, daß es wohl ein geringes Mühlrad treiben könnte, in das Meer ergeußt, darüber wir abermal eine neue Freude empfiengen und miteinander beschlossen, bei derselbigen Quell unsere Wohnung anzustellen.

Zu solcher neuen Haushaltung hatten wir beide keinen andern Hausrat als eine Axt, einen Leffel, drei Messer, eine Piron oder Gabel und eine Scher; sonst war nichts vorhanden. Mein Kamerad hatte zwar ein Dukaten oder dreißig bei sich, welche wir gern vor ein Feurzeug gegeben, wann wir nur ein darvor zu kaufen gewüßt hätten; aber sie waren uns nirgends zu nichts nütz, ja weniger wert als mein Pulverhorn, welches noch mit Zindkraut gefüllet. Dasselbe dürrete ich, weil es so[242] weich als ein Brei war, an der Sonne, zettelte davon auf einen Stein, belegte es mit leichtbrennender Materia, deren es von Moos und Baumwolle von den Kokosbäumen gnugsam gab, strich darauf mit einem Messer durch das Pulver und fieng also Feur, welches uns so hoch erfreuete als die Erlösung aus dem Meer. Und wann wir nur Salz, Brod und Geschirr gehabt hätten, unser Getränke hineinzufassen, so hätten wir sich vor die allerglückseligste Kerl in der Welt geschätzet, obwohl wir vor 24 Stunden unter die unglücklichste gerechnet werden mögen. So gut, getreu und barmherzig ist Gott, dem sei Ehre in Ewigkeit, Amen.

Wir fiengen gleich etwas von Geflügel, dessen die Menge bei uns ohn Scheu herumgieng, rupftens, wuschens, und stecktens an ein hölzernen Spieß. Da fieng ich an, Braten zu wenden, mein Kamerad aber schaffte mir indessen Holz herbei und verfertigte eine Hütte, uns, wann es vielleicht wieder regnen würde, vor demselben zu beschirmen, weil der indianische Regen gegen Afrika sehr ungesund zu sein pfleget; und was uns an Salz abgieng, ersatzten wir mit Zitronensaft, unsere Speisen geschmacksam zu machen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 239-243.
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