325. Die goldene Hand zu Magdeburg.394

[275] Die vormalige Koquische Zuckersiederei, die gleichsam eine Insel bildet, da wo sich gegenwärtig das Militärbekleidungsdepot befindet, ein Platz, auf welchem die Hellerstraße, die kleine steinerne Tischstraße, die grüne Armstraße und die Trönsbergstraße zusammenstoßen, hat noch heute den Namen »bei der goldnen Hand«, das Haus aber, über dessen Eingangsthüre einst eine in Stein gehauene goldene Hand prangte, ist längst verschwunden und an seiner Stelle befindet sich eben das vorhin genannte Gebäude. Jenes Bild einer goldenen Hand soll aber folgenden Ursprung gehabt haben.

Im Jahre 1058 befand sich die Kaiserin Agnes, Wittwe des am 5. October 1056 verstorbenen Kaisers Heinrich III. und Mutter des damals nur 7jährigen Kaisers Heinrich IV. in Magdeburg und bewohnte den erzbischöflichen Palast, wo sie von dem damaligen Erzbischof Engelhard ausgezeichnet aufgenommen ward. Derselbe war aber leider ein sehr großer Verehrer des schönen Geschlechts und warf seine Augen auch auf ein Hoffräulein der Kaiserin, eine junge Böhmin aus edlem Geschlechte, die aber sehr arm war. Nun war dieselbe aber bei der Kaiserin in Ungnade gefallen, weil sie sich von den Herren des Hofes und dem Erzbischof selbst etwas freier den Hof hatte machen lassen, als es der Kaiserin passend erschien. Das Mädchen wußte bei ihrer Entlassung nicht, wohin sie sich wenden sollte, denn ihre allerdings noch am Leben befindliche Mutter hatte selbst für sich kaum zu leben und dann fürchtete sie auch schwere Vorwürfe von derselben, weil sie durch ihren Leichtsinn und ihre Eitelkeit ihre gute Stellung bei der Kaiserin verloren hatte. Sie ließ sich daher leider verleiten, das Anerbieten des Erzbischofs, ihr sein im Osten der Stadt gelegenes Sommerhaus einstweilen als Aufenthaltsort und nebenbei auch eine namhafte Summe zu ihrem Unterhalt anzunehmen, freilich indem sie immer so that, als verstehe sie die geheimen Absichten des Erzbischofs nicht, und halte sein Anerbieten lediglich für den[275] Ausfluß seines Wohlthätigkeitssinnes. Derselbe hatte wohlweislich vorher der Kaiserin vorgespiegelt, die Böhmin sei seine nahe Verwandte und so war es ihm gelungen, jener selbst die Erlaubniß abzulocken, daß die Jungfrau sein Geschenk annehmen und in Magdeburg bleiben dürfe. Natürlich konnte es nun nicht mehr auffallen, daß das Mädchen täglich Besuche von dem Kirchenfürsten annahm, allein eigentliche Unterstützung erhielt sie weiter nicht von ihm, sie bedurfte solche auch nicht, denn sie fand zu wiederholten Malen größere Summen Goldes in ihrem Schmuckkasten und glaubte stets, es seien dies ihr im Geheimen zufließende Geschenke von der Hand der Kaiserin oder des Erzbischofs, die aber eben deswegen so im Geheimen gegeben würden, weil der Geber keinen Dank beanspruche. Als jedoch die Sache eines Tages zwischen dem Erzbischof und dem früheren Hoffräulein zur Sprache kam, betheuerte der Letztere bei seiner Ehre, daß sie von seiner Seite auch keinen Heller erhalten habe. Machte sie nun diese Versicherung schon stutzig, so geschah dies kurz darauf noch weit mehr, als eines Tages der Kirchenfürst seine frühere bescheidene Zurückhaltung gegen sie ablegte und zudringlich zu werden anfing, sie selbst aber ihn auch nicht mit der Strenge zurückwies, wie es einer sittsamen Jungfrau zukam. Es trat nämlich, während sie mit einander koseten, plötzlich unangemeldet ein von Kopf bis zu den Füßen geharnischter Ritter ein, stellte sich, ohne auf die strenge Frage des Erzbischofs, was dies bedeuten solle, zu achten, zwischen sie, streifte seinen Blechhandschuh vom Arme und legte ihn zwischen sie. Als er sich hierauf ebenso lautlos entfernt hatte, spottete der Erzbischof laut über den strengen Sittenrichter und wollte sie von Neuem umarmen, als er auf einmal einen so gewaltigen unsichtbaren Schlag auf die Wange erhielt, daß er wie betäubt zu Boden fiel und besinnungslos zu Hause getragen werden mußte. Am andern Morgen sah man auf seinem Gesichte die Spuren einer starken Männerhand und in Folge dessen blieb der Erzbischof jetzt von dem Hause des Mädchens fern, indem er sich nicht einer abermaligen Beleidigung aussetzen wollte. Die schöne Böhmin aber fing an in sich zu gehen und jenen Ritter als einen Boten aus dem Jenseits anzusehen, der ihre Unschuld habe retten und sie selbst zur Buße auffordern wollen. Sie schrieb also an ihren Bruder, der zu Prag sich aufhielt, und bat ihn, sie von Magdeburg abzuholen und zu sich zu nehmen. Da geschah es eines Tages, daß sie um Mitternacht plötzlich durch einen gewaltigen Sturmwind, der das ganze Haus erschütterte, aufgeweckt wurde, alle Thüren sprangen von selbst auf und plötzlich trat ein wunderschöner weißgekleideter Jüngling zu ihr ins Zimmer, von dessen Hand ein glänzendes Licht ausstrahlte, als wenn dieselbe feuriges Gold wäre. Sie sank in Ohnmacht, fand aber bei ihrem Erwachen am andern Morgen, daß sie nicht geträumt hatte, denn alle Geschenke, die sie früher vom Erzbischof erhalten hatte, waren aus ihren Behältern gerissen, herumgeworfen und zertrümmert und nur die Goldstücke, die ihr früher einmal von unbekannter Hand zugekommen waren, lagen noch ebenso in ihrem Schmuckkasten, wie am Abend zuvor. Auf dem Tische neben ihrem Bette lag aber wieder jener Blechhandschuh, der seit jenem verhängnißvollen Abend verschwunden geblieben war, und als sie ihn aufheben wollte, um ihn zu betrachten, sah sie, daß aus demselben eine Hand mit einem kurzen Armstumpfe hervorrage. Sie versuchte ihn also in die Hand zu nehmen, um ihn näher zu beschauen, allein sie fand,[276] daß er von außerordentlicher Schwere war, so daß sie ihn nicht halten konnte; sie ließ ihn also fallen, und siehe wie erstaunte sie, als aus der eisernen Hülle eine schön geformte Manneshand von purem Golde, mit Fingern und Nägeln, Gliedern und Gelenken, so künstlich gearbeitet, daß auf ihr sogar die Adern etc. zu sehen waren, auf die Diele fiel. Sie hob dieselbe auf und legte sie wieder auf den Tisch, erwartete auch zuversichtlich, daß der Besitzer der Hand zurückkehren werde, allein vor der Hand vergeblich. Nach einiger Zeit erschien aber plötzlich ein Benedictinermönch des Ordens zum schattigen Thale, dessen Schirmvoigt ihr Bruder in Prag war, bei ihr und forderte sie im Namen des Letzteren auf, sich zu erklären, ob sie ihren in Magdeburg doch durch üble Nachrede und eigene Schuld verunglimpften Namen in einem Kloster begraben oder sich mit einem Ritter vermählen wolle, den ihr ihr Bruder senden werde und den sie daran erkennen solle, daß er die goldene Hand, in deren Besitz sie sei, an den Stumpf seines Armes passen und mit ihr gleichwie mit einer ordentlichen Hand zugreifen werde. Er gab ihr zu ihrer Erklärung drei Tage Bedenkzeit und wie zu erwarten, wählte sie das letztere. Da geschah es, daß sie um Mitternacht des dritten Tages von einem lauten Geräusch von Rossehufen auf der Straße aus dem Schlafe erweckt ward, sie öffnete das Fenster und eine kräftige Männerstimme rief ihr von der Straße aus zu, sie solle das Haus aufschließen lassen, der ihr bestimmte Bräutigam sei angelangt. Zwar hatte sie ihn erst am nächsten Morgen erwartet, allein sein frühzeitiges Erscheinen erklärte sie sich mit der Sehnsucht des Unbekannten, sie kennen zu lernen, eilte die Treppe herab, öffnete die Thüre und vor ihr stand ein geharnischter Ritter mit geschlossenem Visire; derselbe trat nur von einem einzigen Knappen begleitet ins Haus, folgte ihr die Treppe hinauf ins Zimmer, berührte mit dem Stumpfe seines Armes die auf dem Tische liegende goldene Hand und selbige schloß sich mit dem Schlage einer Feder von selbst an seinen Arm an, was ihn als den ihr bestimmten Bräutigam kennzeichnete. Derselbe nahm nun den Helm ab und stand als ein schöner junger Ritter vor ihr, er sagte, er habe diesen seinen Arm in einer Schlacht gegen die Türken verloren, da habe ihm ein großer Künstler diese Hand gemacht und aus Dankbarkeit habe er denselben zu seinem steten Begleiter erwählt; er komme nun, um sich selbst ihr Jawort zu erbitten und sie dann mit in seine Heimath zu führen. Schon streckte die Jungfrau die Hand aus, mit der sie ihren ewigen Bund bekräftigen wollte. Da fiel ihr Blick auf den hinter dem Ritter stehenden Knappen desselben; wie ward ihr aber, als sie in demselben jenen weißgekleideten schönen Jüngling aus ihren Träumen wiedererkannte, ein inneres Gefühl sagte ihr, dieser habe ein älteres Recht auf sie, sie breitete wie durch geheime Gewalt getrieben ihre Arme nach ihm aus und rief: »Dieser und kein anderer soll mein Bräutigam sein, dem ich im Leben und Tode angehören will!« Da trat der Ritter zurück, der angebliche Knappe aber sprach: »Du hast selbst Dein Schicksal entschieden, kein sterblicher Mensch soll Deinen Leib fürder berühren, nachdem Du Dir einen himmlischen Bräutigam erwählt hast; wir werden Dich nach Prag zu Deinem Bruder geleiten, der das Weitere verfügen und Dir selbst das Kloster anweisen wird, welches Dich aufnehmen soll!« Der andere Ritter aber sprach: »Fräulein, Ihr habt die Euch vom Himmel aufgelegte Prüfung bestanden, ich lasse Euch die goldene Hand zum Andenken an diese Stunde,[277] bitte Euch aber, dieselbe einem armen tugendhaften Mädchen zu schenken und damit das Glück derselben zu begründen, da sie Euch selbst doch nichts mehr nützen kann.« Und so geschah es auch; ehe die zukünftige Himmelsbraut die Stadt Magdeburg verließ, um im Kloster Uns. L. Frauen zu Prag ihre Sünden und Leichtsinn abzubüßen, schenkte sie die Hand ihrer Dienerin, einem armen, aber tugendhaften Mädchen. Mit dem Erlös aus dem Golde des Kunstwerks vermochte dieselbe nun ihren Geliebten, einen armen Handwerker, nicht blos heirathen zu können, sondern auch jenes Haus, wo sich die sonderbare Begebenheit ereignet hatte und welches dem Erzbischof verhaßt geworden war, zu erwerben, und ließ zum Andenken an jenes Ereigniß in das steinerne Thürgewände eine Hand hauen und reich vergolden. Das war das alte Haus zur goldenen Hand.

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Nach Relßieg Bd. II. S. 406 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 275-278.
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