346. Der Nix von Giebichenstein holt die Wehemutter.415

[303] Bei Giebichenstein in der Saale wohnte ein Nix mit seiner Frau. Der kam einst bei Nacht zur Wehemutter und bat sie, mit ihm zu gehen; da sie sich jedoch weigerte, drohte er sie auf der Stelle zu erschlagen, wenn sie ihm nicht folge. Da ging sie denn zitternd hinter ihm her, und wie sie an die Saale kamen, schlug der Nix mit einer Ruthe auf das Wasser. Alsbald thaten sich die Wellen auf und beide schritten eine schöne breite Treppe hinab[303] in das Nixhaus, welches ein hoher königlicher Palast war und von Gold und Silber und Edelsteinen strahlte. Die Wehemutter fand hier das Nixweibchen in Kindesnöthen und stand ihr bei. Und als sie fertig war und der Nix aus der Stube ging, ihre Bezahlung zu holen, raunte ihr das Weibchen heimlich zu: »Wenn mein Mann jetzt wiederkommt und Euch große Schätze anbietet, nehmt ja nicht mehr als Ihr gewöhnlich von den Menschen bekommt, sonst möchte es Euch übel ergehen.« Da kam der Nix zurück mit einer großen Mulde voll Goldgulden und anderer Gold- und Silbermünze und sprach zu der Frau: »Hier nehmt für Euere Mühe so viel Euch gefällt« und dabei wühlte er mit der Hand in der Mulde, daß die Stücke lustig klimperten und hielt sie ihr hin. Sie aber nahm nur ein Viergroschenstück. »Das ist Dein Glück, Alte,« sprach der Nix »hättest Du mehr genommen, so hätte ich Dir den Hals umgedreht!« Hierauf führte er die Wehemutter wieder zu der Treppe und sie stieg voll Angst die Stufen hinauf und hörte das Wasser hinter sich zusammenrauschen, doch wagte sie sich nicht umzusehen, bis sie auf ihrer Thürschwelle stand.

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Nach Sommer S. 41.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 303-304.
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