495. Die Todtenlache bei Rappelsdorf.586

[456] Nach einer altherkömmlichen Sitte werden Verstorbene, die in der Stadt Schleusingen ihre Ruhestätte erhalten, mit Leichenbegleitung bis an die sogenannte Todtenlache bei Rappelsdorf getragen. Von da aber wird der Sarg ohne weiteres Geleite nach Schleusingen gefahren. Diese Todtenlache ist ein mit Wasser gefülltes Loch, über 400 Fuß lang und gegen 100 Fuß breit, der Sage nach unergründlich und überhaupt weit und breit verrufen in der Umgegend. Das helle und klare Wasser hat die Eigenschaft, daß es im Winter nie ganz zufriert. Tief unter der Erde steht es in Verbindung mit Höhlen und Klüften des benachbarten Berges, die Haardt geheißen, auch mit einem Brunnen im Bärengraben und mit dem sogenannten Mandelloche, einem mit Wasser gefüllten Erdfall auf der Rappelsdorfer Kuppe. Diese Todtenlache wird aber von Jahr zu Jahr größer und man erzählt von ihr folgende sonderbare Sage, die sich kurz vor dem 30jährigen Kriege zugetragen haben soll.

Es begab sich einst, daß aus der Todtenlache eine Nixe hervorkam, anzuschauen wie ein schlankes Mägdlein, mit scharlachrother Schärpe um die Lenden, doch hintennach einen häßlichen Fischschwanz schleifend. Auch das Mieder war schuppig und von seegrüner Farbe, wie das Wasser in der Todtenlache. Dabei trug sie ein schwarzes Korallenhalsband um den Hals und den Busen deckte ein rothes Tuch, an welchem ein Perlenstrauß befindlich war. In solcher Gestalt und Kleidung hatte das Wasserfräulein sich nach einem unweit Rappelsdorf gelegenen Wirthshause verfügt, die Hudelsburg geheißen. Dort war Alles fröhlich und guter Dinge, denn es ward dort eine Hochzeit gefeiert. Es wählte sich aber die Nixe einen unter den muntern Junggesellen, zu dem sie sich an den Tisch setzte und mit ihm plauderte und kosete. Der war der lange Friedel geheißen und gewann das holdselige Mädchen gar lieb und tanzte mit ihr um die Linde vor dem Wirthshause. Sie aber that gar schön mit ihm und herzte und küßte ihn und vertraute[456] ihm im Stillen, wie sie so gar gern seine Braut wäre. Als nun der Abend herangekommen und es fast Nacht geworden, da sprach sie mit Thränen: »Nun muß ich Dich verlassen und muß wieder hinab in das Wasser, wo ich wohne; denn ich bin schon lange bei Dir geblieben und bin hierher gekommen trotz meines Vaters Verbot. Ich fürchte, daß ich mit dem Leben dafür büßen muß. Lebe wohl und merke Dir, was ich Dir sage: Gehe morgen, sowie es tagt, an die Todtenlache; ist das Wasser hell und grün, so sei Dir das ein Wahrzeichen, daß ich noch am Leben bin, wenn aber die Fluth bleich aussieht und todtenfarbig, dann magst Du Dich überzeugt halten, daß auch mein Auge im Tode erloschen ist.« So sprechend küßte sie ihren Geliebten und entwich. Er fand aber, als er am andern Morgen an die Todtenlache kam, das Wasser bleich und wie mit Blut gefärbt. Da ergriff ihn Verzweiflung und er sprang hinab, um sich durch den Tod mit seiner Geliebten zu vereinigen.

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S. Thüringen und der Harz Bd. VI. S. 91.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 456-457.
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