809. Der Räuber auf dem Geissenberge.930

[762] Johann Hübner war der letzte der Räuber, die auf dem Geissenberge in Westphalen wohnten, des Nachts auszogen und besonders Vieh stahlen, das sie dann in einem großen Stalle ihrer Burg, deren Trümmer man noch jetzt sieht, verbargen und es dann weit in entfernte Lande verkauften. Johann trug stets ein eisernes Kleid und war der stärkste Mann im ganzen Lande; er hatte nur ein Auge und einen großen krausen Bart und krause Haare. In der Ecke, wo man noch das zerbrochene Fenster sieht, saß er am Tage mit seinen Knechten und trank mit ihnen, wobei er denn weit durch's Land umher nach Beute lugte und wenn er einen Reiter mit einem schönen Pferde oder Treiber mit fettem, starkem Vieh gewahr wurde, sandte er sofort seine Knechte aus, welche Reiter und Treiber erschlugen und das Vieh raubten.

Von diesen Räubereien hörte ein Fürst von Dillenburg, gemeinhin nur der schwarze Christian genannt; denn die Bauern kamen zu ihm und klagten über ihre Verluste. Dieser trug nun seinem klugen Knechte Hans Flick auf, dem Hübner aufzupassen, indeß er selbst im Giller sich mit seinen Reitern verborgen hielt. Hans Flick hatte aber den Johann Hübner nie gesehen und streifte nun umher, ihn irgendwo auszufragen und zu finden. Zufällig kam er an eine Schmiede, wo Pferde beschlagen wurden und viele Räder an der Wand lehnten. An diese lehnte sich ein Mann mit dem Rücken, der einäugig war und ein eisernes Wamms trug. »Grüß Dich Gott, Mann mit Einem Auge und dem eisernen Wamms! Du bist wohl Johann Hübner vom Geissenberg?« sagte Hans. »Der liegt auf dem Rade«, entgegnete der Fremde. Hans Flick aber meinte, er rede von dem Rade auf dem Rabensteine und fragte weiter, seit wie lange das sei. »Seit heute«, entgegnete jener mit spöttischem Lachen.

Hans Flick konnte diesen Reden doch nicht ganz glauben und blieb darum in der Schmiede, um auf den Mann weiter Acht zu haben. Dieser redete heimlich mit dem Schmied, daß er die Hufeisen seinem Pferde verkehrt aufschlagen solle. Als dieser fertig war, setzte sich Johann Hübner auf und sagte zu Hans: »Grüße Deinen Herrn und sage ihm, er solle nur Fäuste, aber keine Leute schicken, die es hinter den Ohren suchen.«

Mit diesen spöttischen Worten ritt er von dannen. Hans Flick sah ihm nach, um zu gewahren, wohin er den Weg nehme und dann der Spur nachzufolgen, aber vergebens, denn Johann war hin und her die Kreuz und Quere geritten. Hans Flick wurde zwar verdrießlich, hörte aber doch nicht auf dem Räuber nachzuspüren, bis er ihn endlich Nachts bei Mondscheine im Walde mit seinen Knechten gelagert fand und dabei eine Heerde geraubtes Vieh. Schnell brachte er diese Kunde dem Fürsten Christian. Dieser säumte nicht seine Knechte zu sammeln, ihren Pferden Moos um die Füße binden zu lassen und nach dem Lagerplatze Hübner's zu ziehen. Es begann ein lebhafter Kampf zwischen den Herren und Knechten, bis endlich der Räuber fiel und der Fürst in dessen Schloß einzog. Den großen Thurm aber ließ der Fürst untergraben, um ihn her viel Holz legen und anzünden. Er fiel und von seinem Falle erbebte das Land und noch jetzt sieht man die[763] Steine den Berg hinunterliegen. Mitternächtlich aber erscheint oft Hübner und reitet auf einem schwarzen Pferde um den Wall seines ehemaligen Schlosses.

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S. Ziehnert Bd. II. S. 111 etc. Bechstein, Sagenbuch S. 322.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 762-764.
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