315. Der Todtentanz zu Neisse.

[372] (S. Unterred. a.d. Reiche der Geister Bd. I. S. 248 etc.)


In der Stadt Neisse starb ein alter Sackpfeifer und verordnete zuvor, daß sein alter eingeschrumpfter Dudelsack neben seinem Körper in den Sarg gelegt werden sollte, worin ihm um so leichter gewillfahrt wurde, weil ihm dieses Instrument seinen Unterhalt gegeben, andern Lebenden aber nicht den geringsten Nutzen verschaffen konnte. Nachdem dieser Mann begraben war, sah der Thürmer um die eilfte Stunde gegen Mitternacht folgende wunderliche Begebenheit. Das Grab des besagten Sackpfeifers eröffnete sich von selbst, er kam mit seinem Dudelsack herausgestiegen und hub an auf demselben ordentlich zu spielen. Diese Musik hatte noch nicht lange gewährt, als sich auch andere Gräber eröffneten, aus welchen Manns- und Weibspersonen, junge und alte, große und kleine hervorkamen und nach angestellten Reihen auf possirliche Weise mit einander herumtanzten, bis endlich die Uhr Zwölf geschlagen, da denn der Sackpfeifer nebst seiner ganzen Gesellschaft sich wiederum in ihre unterirdischen Wohnungen verkroch. Am folgenden Tage wurden die Gräber in ihrer vorigen Beschaffenheit gefunden und nicht die geringste Veränderung an den selben wahrgenommen. Es wollte daher[372] kein Mensch dem Thürmer in seiner Erzählung einigen Glauben beimessen, ob er gleich dieselbe mit einem hohen Eidschwur zu bekräftigen suchte. Vorwitzige Leute fanden sich hingegen sehr häufig, welche diese Sache selbst in Augenschein zu nehmen verlangten und die Nachtstunde kaum erwarten konnten, da sie dasjenige aus Neugierde zu sehen wünschten, was der Thürmer Amtshalber wahrgenommen. Sie erreichten auch ihren Zweck, aber nicht mit erwünschtem Ausgang, indem der ganze Schwarm dieser tanzenden Gesellschaft sich auf einmal schwenkte und auf die vorwitzigen Zuschauer losging. Weil nun aber Keiner die Ankunft derselben erwarten wollte, und Viele vor Schrecken und zugestoßener Ohnmacht ihre Hausthüren nicht erreichen konnten, so hat man nicht allein bei anbrechendem Tage Unterschiedene halbtodt auf der Gasse liegend gefunden, sondern es haben auch Einige ihren unnöthigen Vorwitz mit dem Leben bezahlen müssen. Unterdessen wurde aber dieser Todtentanz alle Nächte ordentlich fortgesetzt. Die ganze Geistlichkeit befand sich hierüber in großer Verwirrung, indem sie nicht wußte, was man bei dieser wunderlichen Begebenheit für Mittel vorkehren sollte. Sie durchsuchten alle Exorcistenbücher, um eine kräftige Beschwörung daraus zu nehmen, es wollte sogar nahebei eine Theurung des Salzes in Neisse entstehen, indem die Kirche das meiste aufkaufte, um durch Einstreuung desselben ihr Weihwasser desto kräftiger zu machen. Sie verfuhren damit aber nicht wie sonst, da man in der katholischen Kirche die Gräber der Christgläubigen nur damit ein wenig besprengt, um ihnen ein Labsal in der Hitze des Fegefeuers zu geben, sondern gingen damit so verschwenderisch um, daß man ganze Ströme über den Gottesacker fließen sah und die verborgenen Erdmäuse hätten ausgesäuft werden können. Allein auch dies war umsonst, der Todtentanz wurde ungeachtet des feuchten und schlüpfrigen Bodens alle Nächte wie vorhin fortgeführt, daß also das Weihwasser in diesem Falle gar schlechte Wirkungen zeigte. Man erwählte hierauf andere Handgriffe der Exorcisten, welche sonst bei den Körpern derer, so im großen Kirchenbann gestorben sind, nicht ungewöhnlich sind. Man peitschte alle Gräber ohne Unterschied mit priesterlichen Stolen, man beräucherte sie mit Weihrauch, sie waren aber und blieben unempfindlich und die Einwohner derselben ließen sich nicht wie andere Arten Geister durch Räuchern vertreiben. Es wurde hierauf die Sache mit verschiedenen Universitäten überlegt und beschlossen, man solle hier und da die verdächtigen Körper aus dem Grabe nehmen, denselben einen Schlehdorn durchs Herz stoßen und die Köpfe mit einem Grabscheid von dem Körper absondern, welche alsdann unter ihnen frisch Blut von sich geben würden, dieselben solle man ins Gesammt verbrennen. Man sah sich also genöthigt, alle Gräber ohne Unterschied zu eröffnen und besagte Probe mit ihnen vorzunehmen, da denn durch dieses Mittel der Todtentanz sein Ende erreicht hat.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 372-373.
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