480. Das Räuberhorn zu Cöslin.

[508] (S. Pommersche Provinzialblätter Bd. I. S. 211-216. III. S. 4. 6.)


Der Gollenberg bei Cöslin war früher der Aufenthalt verschiedener Räuberbanden, welche sich in den Klüften desselben aufhielten. Eine solche ist noch heutigen Tages vorhanden und heißt die Räuberkuhle. Von ihr giebt es eine Sage, welche also lautet:

Einst kam spät am Abend ein Reisender nach Cöslin in den dortigen Gasthof, der noch in der Dämmerung an dem Gollenberg vorbeigemußt hatte; er hatte im Vorbeireiten aus dem Innern desselben ein unheimliches Getöse vernommen, hatte sich aber natürlich nicht aufgehalten, sondern war, so schnell er konnte, vorbeigejagt. Er erzählte nun, was ihm begegnet war, allein er fand ungläubige Ohren und mußte manche spöttische Reden über seine angebliche Hasenherzigkeit einstecken. Darüber ärgerlich, bot er dem eine große Summe Geldes an, welcher es wagen werde, jetzt gleich auf den Gollenberg zu gehen und zum Zeichen, daß er dagewesen, sein Tuch, das er ihnen vorzeigte, an die Spitze der eisernen Fahne, welche als Merkzeichen für die Schiffer auf dem Gipfel des Berges errichtet war, binden werde. Niemand aber wollte das Geld verdienen. Da erbot sich die Magd des Gastwirths, eine beherzte Dirne, das Wagestück zu unternehmen, ließ sich auch, trotzdem daß ihr Jedermann abredete, nicht von ihrem Vorsatze abbringen, denn sie dachte mit dem verdienten Gelde sich einen eigenen Hausstand gründen zu können. Sie machte sich auch richtig mutterseelenallein in der finstern Nacht auf den Weg und gelangte auch trotz des heftigen Sturmes, der sich mittlerweile erhoben hatte, und ihn gerade entgegenkam, auf den Gipfel des Berges. Als sie nun aber dort angelangt war, da fiel ihr auf einmal ein, daß sie ganz verlassen von aller Hilfe in der unmittelbaren Nähe der furchtbaren Räuberbande allerdings Ursache habe sich zu fürchten und so konnte sie kaum vor Zittern und Zagen ihre Aufgabe, das Tuch an die Fahnenstange zu knüpfen, lösen. In dem Augenblick aber, wo sie dies that, hörte sie ganz in ihrer Nähe den Ton jenes furchtbaren Lärmhorns, mit denen die Räuber sich zusammenzurufen pflegten und welches sie oft in der Stadt zu nächtlicher Zeit vernommen hatte. Sie sah sich ängstlich nach einem Verstecke um, da erblickte sie plötzlich neben sich ein an einen Baum gebundenes weißes Roß mit einem silbernen Zaum. Sie eilte auf dasselbe zu, band es los, setzte sich auf und jagte, was das Pferd laufen konnte, den Berg hinab. Allein die Räuber hatten sie schon vorher gesehen und deshalb mit dem Horne sich zusammengerufen, auch sie bestiegen ihre im Berge versteckten Rosse, welche Klingeln an den Hälsen trugen, und verfolgten sie so schnell sie konnten. Schon hörte sie ihre Verfolger nahe hinter sich, da spornte sie ihr Roß zu den äußersten Kraftanstrengungen an und so gelang es ihr, noch vor ihnen das Thor zu erreichen, diese aber in der Hitze der Verfolgung folgten ihr bis in die Stadt und weil dort sich inzwischen die Kunde von der gefährlichen Wette verbreitet hatte, waren die Wirthshausgäste dem Mädchen nach dem Thore entgegengeeilt und nebst der[508] Scharwache hier versammelt, und so fielen denn die unvorsichtigen Räuber ihnen leicht in die Hände. Am andern Morgen aber zogen die Bürger von Cöslin hinaus auf den Gollenberg, untersuchten das Raubnest und zerstörten es, nachdem sie die dort aufgehäuften Schätze herausgeschafft hatten. Unter der Beute war auch das drei Fuß lange, metallne Horn der Räuber, welches die Bürger mitnahmen und für alle Zeit zum Horn des Nachtwächters ihrer Stadt bestimmten, welchen Dienst es noch verrichtet.81

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Eine ähnliche Sage ist oben von Brieg erzählt. Sagen ähnlicher Art werden aus Schlesien vom Burgberge bei Jägerndorf [s. Minsberg, Oberschl. Sagen, Neisse 1829 Th. I. S. 1 etc.], von Kieslingswalde bei Habelschwerdt und von den zwei Säulen an der Feldmühle bei Neunz, eine halbe Meile von Neisse [s. Kastner, Ueb. schl. Sagen, Neisse 1845 S. 21] berichtet.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 508-509.
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