601. Das versteinerte Brod zu Danzig.

[579] (S.L. David Bd. VII. S. 43. Karl Th. II. S. 32. 14.)


Einst war in Danzig eine große Hungersnoth, nun lebte damals daselbst eine sehr reiche Frau, die ein sehr schönes Kind hatte, welches sie fast abgöttisch verehrte. Eines Tages ging sie aus um Semmel für sich und das Kind zu kaufen, und als sie zurückkam fand sie, daß sich das Kind inzwischen verunreinigt hatte. Die Frau war zu bequem um eine Windel zu holen, sie nahm also alsbald die Krume aus der Semmel und wischte damit das Kind ab, allein zur Strafe für diese Gottlosigkeit verwandelte das Brod sich sofort in Stein, so daß die Frau, welche dies nicht bemerkte, dem Kinde damit Haut und Fleisch wegwischte. Das Kind starb an der Verwundung, die Frau aber ward wahnsinnig. Diesen Stein zeigt man heute noch in der Kirche zu U.L. Frauen (der Marienkirche) daselbst.

Es giebt jedoch über dieses versteinerte Brod eine zweite Sage, welche also lautet:

Zu derselben Zeit, wo in Danzig jene Hungersnoth wüthete, hatte ein Franciscanermönch sich ein Brod gekauft und ging damit, es in seiner Kutte versteckt haltend, nach seinem Kloster. Da begegnete ihm ein armes Weib, einen Säugling an der Brust, und vermuthend, daß er von einem Bäcker komme, redete sie ihn an und bat ihn um Gottes willen um ein Stück Brod für ihr Kind. Da fuhr der Mönch heftig auf sie los und sagte, er habe kein Brod für sich, geschweige denn für Bettler, die Frau aber hatte das Brod unter der Kutte gesehen und sprach: »Ehrwürdiger Herr, Ihr vergeßt, daß Ihr ein Brod im Busen traget!« Da antwortete der gottlose Mönch: »Weib, sperre die Augen besser, nicht Brod trage ich in meiner Kutte, sondern einen Stein um mich der bissigen Hunde zu erwehren!« Da fluchte das Weib: »Nun so wünsche ich zu Gott, daß sich Euer Brod zur Strafe für Euere Hartherzigkeit gleich in Stein verwandeln möge!« Damit entfloh sie, der Mönch aber eilte ebenfalls fort und hinaus vor's Thor um dort sein Brod ungestört zu verzehren, aber siehe es war zu Stein geworden. Dieser Stein ist noch in der Pfarrkirche zu sehen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 579.
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