778. Die Geißler zu Frankfurt a.M.

[693] (S.d. Limburg. Chronik. S. 15. Lersner Bd. I. S. 555. II. S. 6.)


Im Jahre 1349 (1346?) kamen die Geißler auch nach Frankfurt a.M. Sie gingen 30 Tage mit den Geißeln von einer Stadt zur andern und führten Kreuze und Fahnen mit sich, und also auch in die Kirche und mit Kerzen und mit Procession, immer zwei und zwei zusammen. Sie hatten Hüte auf, daran stand vorn ein rothes Kreuz und ein jeglicher trug seine Geißel vor sich her und so sangen sie folgende Verse:


Ist diese bedefahrt so here (heilig)

Christ fuhr selbst zu Jerusaleme

Und führt ein Kreutz in seiner Hand

Nun helff uns der Heyland.[693]


Sie hatten ihre Vorsänger, zwei und drei und sangen ihnen nach, wenn sie in die Kirche kamen machten sie die Thüre zu, dann zogen sie ihre Kleider bis auf die Unterkleider aus. Sie hatten von ihren Rücken bis auf ihre Lenden Kleider von Linnen, dann gingen sie in Prozession zwei- und dreimal um den Kirchhof und ein Jeder schlug sich selbst mit seiner Geißel zu beiden Seiten über die Achsel, daß ihnen das Blut über den Rücken floß und dabei trugen sie Kreuze, Kerzen und Fahnen vor und ihr Gesang war also, wenn sie umgingen:


Tretten herzu wer büßen will

So fliehen wir die heiße Höll,

Lucifer ist ein böser Gesell,

Wen er hat

Mit Pech er ihn labt.


Am Schlusse des Liedes aber sangen sie:


Jesus ward gelabet mit Gallen

Deß sollen wir an ein Kreuz fallen.


Als nun die Geißler hörten, daß die Juden die besten Oerter in der Stadt inne hatten, ergriffen sie die Waffen und fingen an über dieselben herzufallen. Ob nun wohl die Bürger sich bemühten, den Streit beizulegen, so war doch Alles umsonst, die Häuser der Juden wurden zerstört, die Juden, so in den Waffen ertappt worden, brachte man um und es kam so weit, daß die Sturmglocke geläutet ward und die Bürger gegen die Judenverfolger einen Anfall thaten, also daß die Juden Ruhe bekamen, jedoch waren bereits viele derselben durchs Schwert gefallen. Diese aber verstanden es gegen den Rath und die Bürgerschaft unrecht, als wäre auf ihren Befehl und mit ihrem Willen also gegen sie gehandelt worden. In diesem Argwohn bemühten sie sich, sich sowohl an dem Magistrat als der Bürgerschaft zu rächen. Nun wohnte damals ein reicher Jude, Namens Storck, nahe bei der Hauptkirche in dem Hause, so heute noch zum Storck heißt. Dieser nimmt die Zeit zur Ausübung seiner Bosheit in Obacht, bekommt einen feurigen Pfeil, wirft ihn durch das Fenster in das ehemalige Rathhaus mit solchem Erfolge, daß das Feuer das ganze Rathhaus und den hintersten Theil des St. Bartholomäistiftes verzehrte. Als die Flammen überhand nahmen und die Häuser ringsherum in Asche lagen, erfuhren die Bürger, daß dieser Brand durch die Bosheit der Juden betrüglich angegangen sei, sie ergriffen die Waffen, ließen das Feuer im Stiche und erschlugen in der ersten Hitze viele Juden. Viele aber hatten die Winkel gesucht. Von dieser Unruhe kommt her die Unterschrift vieler Briefe: in der Judenschlacht.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 693-694.
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