878. Der letzte Schöneberg.

[751] (S. Falkenheimer in d. Zeitschr. d. Vereins f. hess. Gesch. [Cassel 1837] Bd. I. S. 357 etc.)


Eine halbe Stunde nordöstlich von der Stadt Hofgeismar liegt der Schöneberg mit dem kleinen Reste seiner Burgruine. Seit 1180 wohnte hier das Geschlecht derer von Schöneberg, 1303 entriß sie ihnen der Bischof[751] von Paderborn, sie bauten sich dann neben dem Dorfe Drende auf einem Berge an, wo jetzt die Stadt Trendelburg liegt, aber 1429 erlosch der Mannsstamm dieser Familie und die einzige Erbtochter des Hauses ward durch ihre Verheirathung mit Eckhart von Röhrenfurt die Stammmutter der Familie von Riedesel. Die Sage erzählt jedoch den Untergang des Geschlechtes anders, und zwar so.

Es lebte einst auf dem Schöneberg ein Ritter dieses Namens, der fast so reich und so mächtig war wie ein kleiner König. Er hatte aber eine Gemahlin, die ihm lieber war als alles sein Besitztum und von dieser einen einzigen Sohn. Als dieser das Alter von zwölf Jahren erreicht hatte, starb sein Vater und die Wittwe betrauerte ihn bitterlich, ebenso wie der Knabe. Da es nun aber Zeit ward, daß dieser etwas lernte um später im Stande zu sein, sein großes Vermögen selbst zu verwalten, so nahm sie einen Lehrer an, der ihn zu einem wackern Ritter erziehen sollte. Leider aber verliebte sich dieser in die Wittwe und wagte es sogar, ihr mit unziemlichen Anträgen zu nahe zu kommen, denn er hoffte, sie werde ihm ihre Hand reichen und er so in den Besitz ihres großen Reichthums kommen. Ob sie nun aber gleich ihn zurückwies, so gab er doch die Hoffnung nicht auf, seinen Zweck zu erreichen, und beschloß deshalb den Knaben, der ihm hierbei hinderlich war, aus dem Wege zu räumen. So ging er denn einst in der Abenddämmerung mit dem Junker in den Wald, der heute noch die Trümmer der Schloßmauer umgiebt. Der Weg, den sie zusammen gingen, lief aber nahe der Mauer an einem Brunnen vorüber, der sehr tief und gemauert war, aber keine Umfriedigung hatte. Als sie an denselben gekommen waren, da packte auf einmal der Lehrer seinen Schüler und warf ihn in das Wasser, dann aber ging er in das Schloß zurück und sagte, der Junker wäre ihm von der Seite gekommen und er wisse nicht, wo er geblieben sei. Schon wurde es Nacht und ganz finster, der Wind brauste und sauste durch die Bäume und der Junker war immer noch nicht zu Hause. Seiner Mutter graute es, sie fragte, wo er sei, sie lief endlich selbst fort ihn zu suchen, aber der Knabe war nicht zu sehen und zu hören. Sie schickte endlich alle ihre Diener aus um mit Laternen den Knaben zu suchen, allein er war nirgends zu finden. Am andern Morgen schickte sie nach Geismar in die Schule, wo die ganzen Schulkinder versammelt waren und ließ diese bitten, sie möchten doch kommen und mit suchen helfen. Den Junker aber hatten die Kinder alle lieb, denn er hatte oft mit ihnen gespielt und so kamen sie denn alle herbei in den Wald und zerstreuten sich in die Gebüsche und suchten mit allem Eifer und riefen ihn auch bei Namen. Aber der Berg antwortete und nicht der Junker. Auf einmal kam einer der Schüler oben auf dem Berge an den Brunnen und sah das Hütchen, welches der Junker zu tragen pflegte, auf dem Wasser schwimmen. Da wußten sie, daß der Junker in den Brunnen gestürzt war und holten das Hütchen heraus und brachten es zu seiner Mutter. Diese hatte aber keine leiblichen Kinder mehr und so vermachte sie den Schulkindern zu Geismar all ihr Gut. Aus den Zinsen werden aber auf Oster-Mittwoch noch die Stutzwecken ausgetheilt, welche die Schulkinder in Geismar noch immer zu derselben Tageszeit empfangen, wo sie das Hütchen gefunden hatten.

Neuerlich ist nun aber fast bis zur Gewißheit festgestellt worden, daß diese Sage einen historischen Hintergrund hat, nur ist der gemordete Junker[752] kein Schöneberg gewesen, sondern vielmehr ein Sohn aus dem vor den Schönebergen hier angesessen gewesenen Geschlechte der Grafen von Winzenburg (seit 1151). Ein Graf, Hermann II., ward kurz darauf mit seiner Gemahlin auf der Burg Winzenburg bei Hildesheim ermordet und seit dieser Zeit ließ sich hier ein Poltergeist sehen, der über diese Familie wachte und nach dem Hute, den er trug »dat Hödeken (das Hütchen)« hieß. Er war es auch, der nach jenem Morde vor dem Bette des Hildesheimer Bischofs um Mitternacht erschien und ihn mit den Worten erweckte: »Plaetner (Plattkopf) wake up: dat Hus Wintzenborch is lieddig«128. Das könnte also wohl der Geist des ertrunkenen Junkers gewesen sein.

128

S. Leibnitz, Script. Brunsvic. T. II. p. 791.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 751-753.
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