896. Die Kobolde im Steckelberg.

[771] (S. Lyncker, Hess. Sagen S. 56 etc.)


Auf dem Steckelberge, unweit Schlüchtern, auf welchem im Jahre 1488 Ulrich von Hutten geboren wurde, lebte einst ein tapferer junger Ritter, der gern den Unglücklichen beistand und die Wahrheit überall in Schutz nahm. Ihm waren zahllose Weinfässer als Erbe zugefallen und der Wein darin hatte die Kraft, den zu verjüngen, der ihn trank. Doch der Jüngling sprach: »Was nützt mir jetzt der Wein? Wenn ich dereinst alt bin, soll er mir munden und mir die Jugend wiederbringen!« Auch hatte er viel Gold, aber er sprach zu sich selbst: »Das Geld brauche ich jetzt nicht, es mag da liegen, bis ich ein Weib habe!« So wohnten damals auch drei schöne Mädchen auf der Steckelburg, die liebten alle drei den Jüngling und sprachen: »Wenn der Jüngling eine von uns wählt, sollen auch die andern beiden bei ihm bleiben als Dienerinnen seines Hauses!« Doch der junge Ritter dachte: »zum Heirathen habe ich noch lange Zeit.« Und er reisete thatenkühn durch allerlei Länder, aber Bösewichter verfolgten ihn und lauerten ihm auf und er kam ums Leben, ehe er seine Heimath wiedersah. Da traten die Kobolde zusammen und sagten: »Der Wein und das Geld des Steckelbergers nehmen wir zu uns, Niemand kann mehr das Geld recht anwenden.« Und die Kisten und Kasten voll Gold und Silber rollten hinab in die Tiefe des Steckelberges, wo auch der Wein in seiner eigenen Hut liegt, von einem schwarzen Hunde mit glühenden Augen bewacht. Oft kamen geldgierige Leute an den Berg und gruben heimlich nach, aber sie fanden nur Katzengold und Katzensilber. Die drei Mädchen aber starben in der Blüthe ihrer Jahre vor Liebeskummer; Treuliebende können sie in hellen Mondnächten sehen, wie sie am Ufer einer Kinzigquelle, unten am Fuße des Steckelbergs, auf und nieder wandeln und unter leisem Geräusch ihr Brautgewand weben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 771-772.
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