961. Frau Schuckel.

[808] (S. Lyncker S. 61.)


In der Gegend der oberhessischen Grenze spricht man häufig von einer gewissen Frau Schuckel, einer Art Zauberin, der aber ein gewisser Distrikt angewiesen ist, in welchem sie weilt und thätig ist und den sie nie verläßt,[808] weil sie sonst sterben würde; dies ist der mittlere Abhang der sich zwischen Schlüchtern und Steinau ausdehnenden Spessart-Hügellandschaft oder der Gegend zwischen dem Ahlersbacher Weinberge, dem Weiperzer Gipfel und der Stadt Steinau. Sie wohnt im Winter in diesem Berge in verschiedenen Höhlen; es sollen sich hierin Zauberbücher befinden, auch reiche Schatzkammern, gefüllt mit Gold und Edelsteinen. Diese Höhlen sind freilich für Niemand zugänglich, wer aber das Schloß Nama und den Schlüssel Tata findet und mit diesem Schlüssel das Schloß öffnet, zu dem kommen die Kinder der Frau Schuckel und führen ihn zu ihrer Frau Mutter. Im Frühling, und zwar am 31. März, verläßt Frau Schuckel die unterirdische Welt und schwebt als ein holdes jungfräuliches Frauenbild über blumige Wiesen und Wälder bis höher hinauf zu den Sternen, bis der Advent sie wieder hinunterruft. Die dortigen Landleute nennen das Kraut Cipripedium oder Venusfuß, Frauschuckelblume. Man darf diese Blume aber nur im Mai pflücken, thut es Jemand früher oder später, den haßt Frau Schuckel und zieht ihre Hand von ihm ab, wenn böswillige Berggeister ihn packen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 808-809.
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