1091. Rettung durch Todte.

[891] (S. Seifart Th. I. S. 16.)


Im Dome zu Hildesheim sieht man über einer der nördlichen Eingangsthüren ein schauerliches Gemälde; ein Geistlicher im bischöflichen Gewande steht predigend auf einer Kanzel und ringsumher erheben sich die in der Kirche begrabenen fleischlosen und halbverwesten Todten aus den Gräbern. Das Bild erzählt eine Begebenheit, die einst in der Kapelle zu Luzienvörde geschehen ist.

Ein frommer und heiliger Bischof zu Hildesheim hatte vor seinen aufrührerischen Unterthanen aus der Stadt flüchten müssen. In dem benachbarten Kirchlein zu Luzienvörde suchte er Schutz vor den Verfolgern und bestieg die Kanzel, um die nachdrängenden Rebellen noch einmal eindringlich von ihrem bösen Thun abzumahnen. Die Rebellen aber richteten ihre Gewehre auf den heiligen Mann und da dieser unter den Lebenden Keinen sah, der zu seiner Hilfe bereit war, so rief er: »Ihr Todten, steigt aus Eueren Gräbern und steht mir bei!« Kaum war das Wort gesprochen, da that Gott ein Wunder, und zum Grausen der bösen Verfolger erhoben sich unter ihren zitternden Füßen die Grabsteine und drohend streckten sich fleischlose Arme den Rebellen entgegen. Da flüchteten diese eilends aus der Kirche, baten unter vielen Thränen den Bischof um Verzeihung und führten ihn im Triumph in die Stadt zurück.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 891.
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