Das Vermächtniß

[325] 1519.


Wie's durch der Hofburg Gänge zu Wels geschäftig wallt

Von Kriegern und von Rittern und Edlen mannigfalt,

In Wappenschmuck und Goldwamms, in Seidenrock und Stahl,

All' auf den Zehen schleichend zum hohen Fürstensaal!


Da liegt im Krankenlager der Kaiser hingebeugt,

Zum welken, zitternden Arme sein greises Haupt geneigt,

Vom Auge karg beleuchtet das bleiche Angesicht,

Wie Trümmer eines Altars im fahlen Mondenlicht.


Gleichwie in Fürstengrüften Standbilder still und stumm,

So steht an Maxens Lager der Edlen Kreis ringsum;

Auch Kunz bei solcher Trauer? die lustige Rose da?

Im Herzkelch froher Rosen lauscht manche Thräne ja!1


Da stand der kühne Freundsberg, vom Schlachtenrauch gebräunt,

Da stand, die Stirne furchend, Pfinzing, der Weisheit Freund,

Auch Karl, des Kaisers Enkel, stand schön und blühend da,

Sein finstrer Blick schon jetzo stets nur zu Boden sah.


Da stand der Dietrichsteiner,2 das Herz von Trauer schwer,

Den Max aus voller Seele geliebt, wie Keinen mehr,

Deß Geist, gleich Zwillingssternen, gewallt mit Maxens Geist,

Deß Herz, ein heiliger Tempel, nur Maxens Bildniß weist.
[325]

Der Kaiser, warm und innig, faßt nun des Freundes Hand:

»Was laß' ich deiner Treue als meiner Treue Pfand?«

»O Herr,« so klingt die Antwort, »rief einst der Tod mich ab,

Sei mir zu euren Füßen vergönnt ein einsam Grab!«


Aufrichtet sich der Kaiser und lächelt mild und nickt

Und fühlt von Kraft noch einmal sein innerst' Mark erquickt,

Noch einmal flammt sein Auge in alter Gluth empor,

Und kräftig aus dem Busen tönt nun sein Wort hervor:


»Fried' ist's in allen Landen, dem Ew'gen Dank und Preis!

Es sehnt sich nach dem Frieden nun auch der müde Greis;

Bald werd' ich trunknen Auges vor seiner Wohnung stehn

Und durch kristallne Pforten zu Licht und Frieden gehn.


Nicht Zepterglanz noch Purpur, nicht eitle Kronenzier,

Nicht stolzer Wappenflitter prang' auf dem Sarge mir;

Ein weißes Kreuz, ganz einfach, auf schwarzem Grund allein,

Das ist der Menschheit Wappen, das soll mein Sargschmuck sein!


Nach Neustadt führt die Leiche dann still im Trauerwagen,

Den frommen Bürgern sollt ihr mein letztes Grußwort sagen;

Dort stand einst meine Wiege, dort soll mein Sarg auch stehn,

Im Schooß der Mutter ruht ja das todte Kind so schön!


In Neustadts Burgkapelle, hart unterm Altarstein,

Soll dann, bestreut mit Asche, versenkt mein Leichnam sein,

Daß grad' ob meinem Herzen die Priester opfernd stehn,

Und meines Volks Gebete noch meinen Sarg umwehn.


Des Schicksals Drang und Sehnsucht trieb mich von Süd zu Nord,

Gen Osten und gen Westen durch alle Lande fort,

Jetzt kehr' ich fröhlich wieder zur heimatlichen Flur,

All meine Fahrten waren ein weiter Umweg nur! –
[326]

Du aber, Karl, mein Enkel, o trete näher mir,

Horch, aus dem Mund des Todes spricht Wahrheit nun zu dir;

Denn weh der argen Lippe, die im Erblassen lügt,

Und weh dem schnöden Antlitz, das noch erlöschend trügt!


Des Bluts, der Liebe Bande zerriß der Tod mir schon,

Dir, Nächstem meines Stammes, leg' ich aufs Haupt die Kron';

O denke, daß du wieder dem Tod sie überbringst,

Wie du sie aus den Händen des Todes nun empfingst.


Wohl Mancher hat's vergessen, vom tollen Wahn erfaßt,

Weh ihm! auf wundem Schädel drückt's ihn wie Centnerlast!

Wohl meint der Thor, ihn presse die plumpe Wucht der Kron',

Doch schwereres Gewicht ist's: der Menschheit Fluch und Hohn!


Leicht trug ich meine Krone, sie ließ kein Wundmal mir,

Und wär's auch, sie bedeckt es mit grüner Lorberzier;

Denn Kraft und Recht und Glaube war Losung meiner Zeit,

Mein Schwert und Herz, die standen als Kämpfer treu im Streit.


Dich rufen andre Kämpfe, die Schwerter rosten ein,

Ein Kampf wird's der Gedanken, der Geist wird Kämpfer sein;

Ein schlichtes Mönchlein predigt zu Wittenberg im Dom,

Da bebt auf altem Thronsitz der Mönche Fürst zu Rom.


Ein neuer Dom steigt herrlich in Deutschland dann empor,

Da wacht mit Lichteswaffen der heiligen Streiter Chor,

An seinen Pforten möge der Spruch des Weisen stehn:

Ist's Gottes Werk, wird's bleiben, wo nicht, selbst untergehn!


Am Altar weht ein Flämmchen, die Flamme wächst zur Gluth,

Zur riesigen Feuersäule, rothlodernd fast wie Blut!

O fürchte nicht die Flamme, hellprasselnd himmelan!

Ein himmlisch Feuer zündet kein irdisch Haus euch an.
[327]

Geläutert schwebt aus Gluthen dann der Gedank' ans Licht

Und schwingt sich zu den Sternen! O hemm' im Flug ihn nicht

Frei wie der Sonnenadler muß der Gedanke sein,

Dann fliegt er auch wie jener zu Licht und Sonn' allein.


Doch auf des Lebens Höhe wirst du dann selig gehn,

Wirst ruhig schaun, wenn leuchtend die Opferflammen wehn,

Wirst ruhig schaun, wenn Herzen und Welten Nacht umstrickt,

Und vor sich selbst das Leben im wilden Kampf erschrickt.


Und nun, mein Karl, die Hände leg' ich aufs Haupt dir auf

Und rufe Gottes Segen auf deiner Tage Lauf!

Das Blut in deinen Adern, das Mark in deinem Gebein,

Dein Blick, dein Hauch, dein Pulsschlag, dein Wort soll Segen sein


Gesegnet sei durch Stärke, gesegnet sei durch Kraft!

Sie, die als Arm der Gottheit im Sturm die Meere rafft,

Im Sturz Lavinen auffängt, des Himmels Wölbung hält,

Sie sei's, die menschlich edel auch deinen Busen schwellt.


Gesegnet sei durch Milde! Sie, die als Blum' entzückt,

Als Lüftchen Thränen trocknet, als Frucht dem Pilger nickt,

Als Thau den Frohnschweiß kühlet, als Mond um Gräber schwärmt

Sie sei's, die menschlich edel auch deine Seel' erwärmt!


Gesegnet sei durch Weisheit! Sie, die gebaut die Welt,

Dieß morsche Riesenbeinhaus, und es zusammen hält,

Daß es zugleich als Wiege noch schaukl' ein neu Geschlecht,

Die Weisheit strahle leuchtend ins Haupt dir Licht und Recht


Gesegnet sei durch Liebe! Sie, die als Taub' im Flug

Als grünen Zweig vom Himmel den Lenz zur Erde trug,

Sie, die als Rosenkette von Herz zu Herz sich schwingt

Und als demantne Fessel Menschheit und Gott umschlingt;
[328]

Sie, die als blauer Odem das Rund der Welt umhegt,

Im Mittelpunkt des Erdballs als Puls des Lebens schlägt

Und auf dem Schutt des Weltalls einst steht mit Gott allein,

Die Liebe zieh' auf ewig ins Herz dir flammend ein!


Und dein Geschlecht erblühe, gleich dir, an Segen reich,

Ein Himmel voller Sterne, an Zahl und Licht zugleich,

Ein Frühling voller Blüthen, der Hoffnungen beschwingt,

Ein Herbst voll goldner Früchte, der die Erfüllung bringt!


Und nun, lebt wohl ihr Alle! Dank euch, ihr Treuen und Frommen,

Laßt nun, mein Haupt zu salben, den frommen Priester kommen!

Einst ward's gesalbt, daß minder die schwere Kron' es presse,

Und jetzt, daß es ertrage den leichten Kranz der Cypresse.«


Fußnoten

1 Kunz von der Rosen überlebte Maxen. Weitere Notizen über ihn s. in Hormayrs Archiv 1822, in Flögels Geschichte der Hofnarren.


2 Sigmund v. Dietrichstein gehört zu den nächsten und liebsten Umgebungen des ritterlichen Kaisers, der auch im Grabe noch mit dem Liebling vereinigt sein wollte. Die Grabstätten der beiden Freunde in der Neustadt liegen hart neben einander.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 325-329.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der letzte Ritter
Sämtliche Werke 5: Der letzte Ritter. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Herausgegeben von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon