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[78] Am folgenden Morgen, als Wally sich noch in den ersten Umrissen ihrer Toilette befand und im neusten Hefte der »Revue de Paris« blätterte, wo sie durch die Schwärmereien eines französischen Gelehrten über deutsche Zustände, die er aber falsch verstanden hatte, sehr belustigt wurde, riß eine unangemeldete Hand die Tür ihres Zimmers auf und stürzte mit einem freudigen Gruße zu Wallys Füßen.

Sie war bleich vor Schrecken, als sie es dulden mußte, daß Cäsar sie stürmisch in seine Arme schloß und ihre Hand mit seinen Küssen bedeckte. »Meine Wally!« war der einzige Ausruf, der über seine bewegten Lippen dringen konnte. Wally zitterte vor Schrecken und Freude. Auch sie konnte keinen Ausdruck finden.

So saßen sie sich eine Weile stumm gegenüber; aber ihre Blicke sprachen mit feurigen Zungen und hatten tausend Dinge zu gleicher Zeit zu fragen und mitzuteilen. »Dein Tschionatulander!« sprach dann Cäsar mit holdseliger Ironie. Wally errötete und barg ihr glühendes Antlitz vor Scham an seine Brust.

»Sie müssen mir diesen stürmischen Angriff verzeihen!« fuhr dann Cäsar fort. »Ich habe viel bei Ihnen gutzumachen und will es durch Dinge, welche für Sie von Wert sind.«

»Sie haben vor zwei Monaten mir das Leben nur gerettet, um es mir zu nehmen!« sagte Wally.

»Ich wollte Sie nicht besuchen. Ich vermied Sie. Warum?[78]

fragen Sie mich! Ich weiß es nicht. War ich stolz, beleidigt? Nein: es war lächerlich; aber Sie kennen mich, Wally, wie schwierig ich zu behandeln bin. Ich lasse immer auf eine Liebenswürdigkeit zehn unerträgliche Torheiten kommen.«

»Liebenswürdigkeiten! Unerträglich! Torheiten! Oh, alles, wie sonst – mein Cäsar!«

»Meine Wally! Aber Sie schweben in einer unvermeidlichen Gefahr, aus der ich Sie retten muß. Ihr guter Ruf ist bedroht. Sie verdanken das Ihrem Manne. Welche Leute kommen in Ihr Haus?«

Wally hatte nicht viel Gehör für diese Worte, für den Inhalt nicht, nur für den Schall, den sie an Cäsars Munde verfolgte. Wenn die Wörterbücher es erlauben, sich so auszudrücken, so wollte sie ihn nur sprechen, nicht reden hören.

»Nein, in der Tat, Wally! Wer ist dieser Jeronimo? Alle Welt spricht davon. Es ist unmöglich, daß Sie Anteil an dieser Intrigue haben. Sie kömmt allein auf Rechnung Ihres Mannes.«

Wally lächelte nur und weidete sich an dem Anblick.

»Nein, bezaubernd sind Sie, Wally!« grollte Cäsar mit komisch-weinerlicher Stimme; »aber so hören Sie doch und gehen Sie auf etwas ein, das Sie interessiert.«

Cäsar mußte sie wecken, mit Küssen wecken aus ihrem Rausche. Er mußte Auge an Auge, Stirn an Stirn legen, jeden Zug in Wallys Antlitz bannen, um sie in seiner Gewalt zu haben und seinen Worten Eingang zu verschaffen. Wally tat noch immer nichts, als in einer gewissen gemachten Abwesenheit von unten herauf mit einer halben Wendung ihres Kopfes, mit klugen und verdächtigen Augen an ihn sich hinaufschmiegen und das küssen, was sie grade traf, Auge, Mund, Nasenflügel. Man muß lieben, um diesen malerischen Gestus der Zärtlichkeit zu verstehen.

»Wally!«

»Cäsar!«[79]

»Wer ist Jeronimo?«

»Ein Narr.«

»Der Bruder Ihres Mannes?«

»Der Bruder meines Mannes.«

»Er liebt Sie.«

»Er liebt mich.«

»Er ist wahnwitzig.«

»Er ist wahnwitzig.«

»O, Wally! Wally!«

»Was soll ich nur? Warum inquirieren Sie mich?«

»Man behauptet, Jeronimo würde mit Vorspiegelungen von Ihnen hingehalten, während Ihr Mann die Zeit benutzt, seinen eigenen Bruder auszuziehen.«

»Aus der Komödie! Ein Roman von Eugene Sue, Balzac, Victor Hugo; was soll ich lesen? Raten Sie mir: ich verwildre ganz, Cäsar.«

»Keine Fabel, nein! Im Hotel des sardinischen Gesandten plündert man die unglücklichen Liebhaber.«

»Und die glücklichen, Cäsar, sind langweilig.«

»Und die glücklichen Liebhaber, Wally, wollen nicht, daß ihr Idol ein Gegenstand der allgemeinen Beschimpfung ist.«

»Wer beschimpft mich?«

»Ihr Mann!«

»Nun, so müssen Sie mich wieder reinwaschen.«

»Das will ich; aber –«

»Aber –«

»Geben Sie mir Aufschlüsse, Data, Erklärungen. Wer ist Jeronimo? Was will er? Was hat er? Ahnten Sie nichts? Teilen Sie die Schuld Ihres Mannes?«

»Gott, so hören Sie auf, Cäsar. An diesen Sachen nehm' ich keinen Teil. Ich habe ja an Ihnen genug, Cäsar; ich lasse Sie nicht. Reden Sie von der Vergangenheit, von Ihren Lebensschicksalen, von unsern Freunden. Kein andres Wort, oder ich verlasse Sie im Augenblick.«

Cäsar begriff diese Grillen nicht. Verdiente er, so geliebt zu werden![80]

»Nun dann!« sagte er lachend und ärgerlich zugleich und begann, auf die Themata einzugehen, welche Wally entzückten. Bis zur Mittagszeit konnten sie über diese Dinge sprechen, ja noch in der Loge des Theaters, und nach dem Theater bis tief in die Nacht hinein.

Quelle:
Karl Gutzkow: Wally, die Zweiflerin. Stuttgart 1979, S. 78-81.
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