Die Bande der Liebe

[69] Ach! mein Geliebter ist tod! er wandelt im Lande der Schatten

Sterne leuchten ihm nicht, ihm erglänzet kein Tag

Und ihm schweigt die Geschichte; das Schicksal der Zeiten

Gehet den mächtigen Gang, doch ihn erwecket es nicht;

Alles starb ihm mit ihm, mir ist er doch nicht gestorben

Denn ein ewiges Band eint mir noch immer den Freund.

Liebe heißet dies Band, das an den Tag mir geknüpft

Hat die erebische Nacht, Tod mit dem Leben vereint.

Ja ich kenne ein Land, wo Todte zu Lebenden reden,

Wo sie, dem Orkus entflohn, wieder sich freuen des Lichts,

Wo von Erinn'rung erweckt, sie auferstehn von den Todten

Wo ein irdisches Licht glühet im Leichengewand.

Seliges Land der Träume! wo, mit Lebendigen, Todte

Wandeln, im Dämmerschein, freuen des Daseyns sich noch.

Dort, in dem glücklichen Land, begegnet mir wieder der Theure,

Freuet, der Liebe, sich meiner Umarmungen noch;

Und ich hauche die Kraft der Jugend dann in den Schatten,

Daß ein lebendig Roth wieder die Wange ihm färbt,[69]

Daß die erstarreten Pulse vom warmen Hauche sich regen,

Und der Liebe Gefühl wieder den Busen ihm hebt.

Darum fraget nicht, Gespielen! was ich so bebe?

Warum das rosigte Roth löscht ein ertödtendes Blaß?

Theil ich mein Leben doch mit unterirdischen Schatten,

Meiner Jugend Kraft schlürfen sie gierig mir aus.


Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 1, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 69-70.
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