An die Zeit, dasz sie seine Liebste ihm nicht entziehe

[80] Göttin, deren Macht und Stärcke

Alles in der Welt regiert

Und die grösten Wunderwercke

Bald zerstöret, bald gebiehrt,

Und von der wir alle Gaben,

Selbst auch Grab und Windel haben,


Deiner Gnade, die ich brauche,

Opfert jezt, du edle Zeit,

Mein Verlangen nicht mit Rauche

Noch mit Blut und Grausamkeit,

Sondern mit ergebnen Zähren,

Die ein reines Herz erklären.


Frage nicht, warum ich weine,

Denn mein Abschied rückt heran,

Und du kennst vorlängst die Meine,

Die ich kaum vermißen kan,

Seit ihr Umgang und ihr Küßen

Mir den Schulstaub noch versüßen.


Hastu jemahls nun der Liebe

Ein gefällig Werck erzeigt,

Hastu die verstockten Triebe

Mancher schönen Brust gebeugt,

O so kanstu leicht gedencken

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 80-81.
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