Er tröstet sich und seinen Freund

[125] Den 20. Jul. 1720.


Gott Lob, ich merck es innerlich,

Des Höchsten Eifer lindert sich,

Es raft sich mein bedrängtes Herze;

Und sieht es gleich noch nicht woher.

So meint's doch mitten in dem Schmerze,

Als wenn gleichwohl ein Hang zur Hofnung übrig wär.


Was war das nicht vor Bangigkeit!

Durch meine ganze Lebenszeit

Befind ich nichts von ihres gleichen;

Kein Zuspruch konte meinen Gram,

Kein Trost den Eigensinn erweichen,

Der immer von sich selbst mehr Kraft und Nahrung nahm.


Ach, allerliebster Herzensfreund,

Bey dem mein Elend größer scheint,

Indem du in Gesellschaft leidest,

Ach glaube, daß die große Treu,

Wodurch du dich in Noth bescheidest,

Mir noch die lezte Lust zu diesem Leben sey.


So sehnlich ein noch zartes Kind

Auf Brüste, Milch und Docken sinnt,

So sehnlich brennt auch mein Verlangen,

Dich einmahl in vergnügter Zeit

Und in dem Alter zu umfangen,

Wo viel Erinnerung vergangner Noth erfreut.


Die Welt soll kein Exempel sehn,

Das wohl auch so noch nicht geschehn,

Das unsrer Treu die Palmen raube.

Die Frauenbrunst würckt sonderlich;

Doch bistu Jonathan, so glaube,

Dein David fühlt sie auch, doch überhaupt vor dich.
[126]

Es mag uns ein Prophetengeist,

So klug und weis er immer heist,

Auf Erden wenig Guts versprechen,

Wir wollen durch Vernunft und Fleiß

Die Schlüße böser Schickung brechen;

Ich troze drauf, weil Gott den frommen Vorsaz weis.


Du siehst allhier, der Abendthau

Macht Gräser, Laub und Kräuter grau

Und stärckt sie nach der Mittagshize:

Ach, lerne Trost, und klage nicht,

Daß unser Herz zu lange schwize;

Wer weis, wo uns ein Quell auch aus dem Felsen bricht!


Das schön- und wundervolle Licht

Entführt uns jezt sein Angesicht

Und denckt gleichwohl aufs Wiederkommen;

Es bringt auch sein verjüngter Schritt

Dies, was es uns anjezt genommen,

Glanz, Farben, Wärm und Lust vielleicht noch reicher mit.


Es darf dich kein Verlust gereun;

Die Zukunft wird des Glückes Schein

Mit reichem Wucher wiedersenden.

Wir kehren wieder in die Stadt

Zur alten Noth mit leeren Händen;

Jedoch wer weis, wo Gott vor uns gesorget hat!

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 125-127.
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