[Was man von galanten Kindern]

[221] [221] Auf eine gewisze Frau in B(rieg)


Was man von galanten Kindern,

Mit vergälltem Munde spricht,

Kan die Sehnsucht nicht verhindern,

Die der Werth ins Auge sticht,

Daß sie dir bey stiller Ruh

Ein geheimes Opfer thu.


Als ich dich in unsern Gaßen

Nur verstohlen angeblickt,

Fing ich alles an zu haßen,

Was sich hier mit Ehrgeiz schmückt;

Die Verwundrung nahm mich ein,

Dir ein stilles Lied zu weihn.


Mir gefiel dein freyes Wesen,

Welches Blick und Gang bewies,

Und ich wüntschte dem den Beesen,

Der es neulich Frechheit hies,

Nach der Thorheit unsrer Stadt,

Die viel falsche Meinung hat.


Tadler- und Verleumdungsmeßer

Biegen wie geschlifnes Bley,

Scheint dein Bild doch schön und beßer

Als das neidische Geschrey.

Wer dich sieht und das nicht glaubt,

Ist wohl des Geschmacks beraubt.


Wendung, Gang, Person und Lachen

Laßen mich zum Überfluß

Bey mir selbst die Rechnung machen,

Was wohl der genießen muß,

Den der Stern vergnügter Nacht

Deines Umgangs würdig macht.
[222]

Auf dergleichen Marmor gleiten,

Den man aus dem Busen gräbt,

Ist ein Fall von großen Leuten,

Der ins Paradies erhebt;

Gift aus feuervoller Hand

Wird ein süßer Tod genand.


O wie zärtlich mag sichs küßen,

Wenn man deine Zunge fühlt

Und ihr Scherz mit sanften Bißen

Um die heiße Lippen spielt;

So ein küzlich Aus und Ein

Mag des Himmels Vorschmack seyn.


Wär auch zehnmahl deine Liebe

Ein vor mich verbothner Baum,

Gäb ich doch dem starcken Triebe

Solcher süßen Sünden Raum,

Weil die Schuld, so es verlezt,

Aller Strafen Qual ersezt.


Lieben achtet kein Geseze,

Und die angenehme Spur

So entzündter Liebesschäze

Ist ein Antrieb der Natur,

Die uns nicht zuwieder spricht;

Das versteht der Pöbel nicht.


Drum so lache, kluge Schöne,

So vernünftig, als du thust,

Wenn du irgend das Gehöhne

Tummer Spötter hören must,

Weil dein ungebundner Geist

Hier und da mit Küßen speist.


Jugend, Lust und schöne Wangen

Stehn fast stündlich auf der Flucht,[223]

Sind die einmahl weggegangen,

Werden sie umsonst gesucht;

Wer die Bahn der Klugheit tritt,

Nimmt sie fein bey Zeiten mit.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 221-224.
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