Telephus, nach der neunzehnten Ode des Horaz

[245] im dritten Buche.


Du bist gelehrt, mein Telephus!

Du weißt und du erzählst, wie manches Jahr verstrichen

Vom fast vergeßnen Inachus

Bis auf des Codrus Zeit, der, nach des Schicksals Schluß,

Beherzt fürs Vaterland verblichen;

Du kennst den Stamm des Aeacus:

Von ihm nennt niemand uns geschwinder

Die Kinder und die Kindeskinder:

Und Trojens Göttersitz, um den Scamanderfluß

Kennst du die Fliehenden, du kennst die Ueberwinder:

O hochgelehrter Telephus!


Hingegen hast du mir die Preise

Der Chier Weine nie gemeldt,

Auch nie den Ort der nächsten Schmäuse;

Nicht, wo, noch wann man mir ein warmes Bad bestellt,

Wenn ein Peligner Frost die Glieder überfällt.
[245]

Gib, Schenke, gib vom Saft der Reben!

Dem Neumond und der Mitternacht

Sei dieser Weihtrunk ausgebracht.

Gib noch den dritten Kelch: Es soll Muraena leben,

Den sein Verdienst zum Augur macht!


Aus jenen Bechern wählt, die euch die besten dünken.

Drei- oder neunmal müßt ihr trinken.

Der Dichter muß begeistert sein.

Er weiß, es sind der Musen neun.

Bald wird er den Bedienten winken,

Der füll' ihm von dem Dichterwein

In den Pocal neun Stutzer ein.

Die Huldgöttin, zu der sich zum Vergnügen

Die beiden nackten Schwestern fügen,

Pflegt Zanklust und Verdruß zu scheun,

Und sie erlaubt von solchen Zügen

Nicht mehr als drei, euch andre zu erfreun.


O daß der Ernst die Flucht erwähle!

Mir lob' ich Lust und Raserei.

Wie? Stimmt kein Spiel dem Jubel bei?

Auf! daß die Flöte der Cybele

Sich jetzt mit neuem Hauch beseele!

Auf! auf! daß Leyer und Schalmei

Die Töne wohlgepaart vermähle,

Nicht unsern Freuden länger fehle,

Nicht stumm der Wände Zierrath sei!

Man sollte sich der Hände schämen,

Die langsam sich zur Lust bequemen:

Wie haß' ich ihre Zauderei!

Streut Rosen aus; lärmt durch die Chöre,

Daß unser tobendes Geschrei

Des dürren Lycus Neid vermehre!

Daß unsre Nachbarin, voll Scheu

Vor dieses Alten Schmeichelei,

Auf unser wildes Jauchzen höre!


Du bist mein Telephus, an vollen Locken reich,

Dem heitern Abendstern macht dich dein Anblick gleich,[246]

Und Chloe, die dir reift, lockt dich zu zarten Trieben.

Erkenne, wie beglückt du bist,

Da meine Glycera nicht so gefällig ist,

Das Feuer kennt und nährt, das mich schon lange frißt,

Und doch nicht eilet, mich zu lieben.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 245-247.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon