Die Nacht

[317] 1731.


Willkommen, angenehme Nacht!

Verhüll' in deine Schatten

Die Freuden, die sich gatten,

Und blende, blende den Verdacht![317]

Wann treue Liebe küssen macht;

So wird der Kuß der Liebe,

So werden ihre Triebe

Beglückter durch die stille Nacht.


Der schöne Mund, den man verehrt,

Bestrafet, zürnt gelinder,

Wird zärtlich, küßt geschwinder,

Wann nichts die sichern Küsse stört.

Ja, ja! die Nacht ist vorzugswerth:

Sie dient, und ist verschwiegen,

Und liefert dem Vergnügen

Den süßen Mund, den man verehrt.


Der Tag hat, als ein falscher Freund,

Zu oft der Welt erzählet,

Was ihr die Nacht verhehlet,

Die Liebende nach Wunsch vereint.

Du bist der Sorg' und Unruh' feind

Und gönnest sie dem Tage,

Und widerlegst die Sage:

Du, holde Nacht, seist Niemands Freund.


Oft schränkt der strenge Tag uns ein;

Doch hält in schweren Stunden

Uns mancher Tag gebunden,

So weiß die Nacht uns zu befrein.

Das Glück, vertraut und froh zu sein,

Das Glück zufriedner Herzen,

Die in der Stille scherzen,

Räumt uns der Tag nur selten ein.


O Nacht, da nur der Scherz sich regt,

Da keine Neider lauschen,

Und nur die Küsse rauschen,

Wie sinnreich wirst du angelegt!

Wie wird der Liebesgott verpflegt,

Wann selbst die Huldgöttinnen

Auf sein Vergnügen sinnen,

Und nichts als Lust und Scherz sich regt.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 317-318.
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