(CIV.)

Der bestraffte Rauber.

[361] Es vermahnet der König David die Reichen im 61. Ps. v. 11. Verlasset euch nicht auf Frevel: fället euch Reichthum zu / so hanget das Hertz nicht daran / als auf ein beständiges Gut / 1. Tim. 6. v. 17. Denn die da reich werden wollen / fallen in Versuchung und Stricke 1 Tim. 6. v. 9. Dieses wird artlich gebildet durch einen Geldkasten / in welchem das Hertz deß Menschen / mit güldenen Ketten angefesselt ist / und weiset auf solche Stricke / nicht nur der Sünden und deß Satans / sondern deß Henkers / nachgehende Geschichte.

2. Guillery ein Breton war von Jugend auf zu dem Studieren gehalten / in welchen er wegen seiner[361] natürlichen Fähigkeit / wol fortgekommen. Als er nun in seinen Jůnglingsjahren zu Renes sich aufgehalten /hat er sich von allen Studenten lieben und fürchten machen. Wann bey Nacht ein Unglück geschahe / war er der Stiffter oder Gesellschafter darbey / weil er aller üppigkeit mehr als dem studiren nachgesetzet. Sein Vater wurde berichtet / daß sein Sohn ein böses Leben führte / deßwegen er ihn dann ernstlich vermahnte: darauf er zur Antwort gabe: er were nunmehr der Ruten entwachsen / und wüsste wol was er thun oder lassen solte. Dieser Ungehorsam war die erste Staffel zum Galgen.

3. Nach dem ihm nun sein Vater kein Geld mehr senden wil / dieweil er nach Hause zu kommen verweigerte / und eben damals der Krieg in Frankreich sich wieder anfeurte / liesse sich dieser Guillery / für einen gemeinen Soldaten unterhalten / und erwiese seine Tapferkeit so glücklich / daß er zu einer Haubtmannsstelle gelanget / und viel böse Buben unter sich hatte. Sein Verstand war sehr gut / seine Zunge beredt / seine Hand kühn / und wusste sich von seinen Untergebenen ehren und fürchten / von seinen Obern aber lieben und loben zu machen / wie gesagt: massen diese beede Bande deß Gehorsams wol beysammen seyn können.

4. Nach dem der Krieg ein Loch gewonnen /spricht er etlichen von seinen Leuten zu / ob sie bey ihm halten wollen / als sie nun mit ja geantwortet /hat er ihnen versprochen / sie alle zu reichen Herren zu machen / sie solten ihme nur folgen und treue verbleiben. Darauf sagte er / daß mit der Kauff- und Fuhrleute Beutel ein neuer Krieg obhanden / welcher nicht so gefährlich / als wo man einen Feind in dem Feld für sich liegend habe. Also wurden aus diesen Soldaten Mörder und Strassenrauber / welche sich üm Xaintonge / Niort und Rochelle viel Jahre aufgehalten / weilen ihrer anfangs bey 40. und haben grossen Schaden gethan.

5. Einsten begegnet Guillery einem Bauren / den fragt er / wo er hinaus wolle? der Bauer sagt /[362] daß er einen Rechtshandel zu Rochelle / und daß er zu seinem Sachwalter gehen müsste. So hastu gewiß Geld bey dir / sagte der Rauber. Als nun der Bauer solches verneinte / sagt er: wol / so müssen wir beten / daß uns Gott was bescheret / wir wollen auf die Knie fallen / und ihn anruffen. Der Baur muß darzu verstehen / und als Guillery in seinen Hosen Sack gegriffen /ziehet er etliche Stieber heraus / und theilt sie mit dem Bauren: begehrend daß der Baur deßgleichen thun sol / weil er aber sagte / daß ihm Gott nichts bescheret /wolte der Rauber selbst suchen / und nahme ihme die helfft seines Geldes / und gienge darmit seinen Gesellen zu.

6. Auf eine Zeit begegnete er einem Botten / der brachte Briefe von Hn. Rocheboisseau / einem Edelmann / sechs Meile von Rochelle / an den Schergen Haubtmann daselbst / daß er kommen solte und Guillery in den Kösten Walt (chasteniere) fangen. Guillery nöhtiget den Botten / daß er den Inhalt seines Briefs bekennet / darauf er ihn lässt gefangen nehmen / und er bringt die Briefe selbst dem Schergenhaubtmann / beredet ihn auch / daß er ihm den Weg wol weisen wolle / wo sich die Räuber aufhielten. Der Schergenhaubtmann glaubt ihm / weil er ihn nicht kennte / und lässet sich von ihm anweisen und führen biß er mitten in den Walt kommet / da ihn und die Schergen seine Raub-Gesellen überfallen / an Bäume gebunden / ihre blaue Röcke außgezogen / ihre Pferde genommen / und also verkappt den ermelten Edelmann außgeplündert haben / welcher nicht anders vermeint / daß solches die Schergen selbst gethan. Nach dem er solchen Raub darvon gebracht / hat er den Schergen ihre Pferde wieder gegeben / wie auch ihre Röcke / und ihnen gesagt / sie sollen sich ein andermal besser fürsehen.

7. Von dar hat er sich mit seinen Leuten nach Niort erhoben / und sich als einen Einsidler verkappt / an der Strassen aufgehalten. Der Schergen Haubtmann deß Orts hette Befehl ihn zu Verhafft zu bringen / und als er ihm begegnet / bat ihn der[363] Einsiedel / er solte so wol thun / und Guillery gefangen nehmen / welcher zwo Meil darvon in einem Wirtshauß sasse / und ihme alle seine Heller genommen hette. Der Schergen Haubtmann erfreute sich über dieser Zeitung / und folgte dem Einsiedler / der ihn dann seinen Leuten in die Hände geführt / die ihn beraubt / und unbeschädiget wieder lauffen lassen. Dieser Rauber wolte nicht leiden / daß seine Gesellen einen todt schliegen / und straffte sie / wann er von einem einen Mord erfuhre. Vielen Armen gab er Geld / vielen nahm er ihre Parschafft halb / und erwiese sich in seinen stehlen als ein höflicher Dieb.

8. Das Glück wolte diesen Buben nicht allezeit anlachen / und begabe sich / daß sein Bruder mit etlichen seiner Gesellen gefangen wurde / als er sich mit den andern ritterlich durchgeschlagen. Nach dem er hörte / daß besagter sein Bruder lebendig gerädert worden zu Xainctonges / und daß etliche seiner Gesellen zu Rochelle dergleichen Straffe außstehen solten / wacht ihm das Gewissen auf / welches ihm sagte / daß der Reyen auch an ihn kommen würde. Hält deßwegen Raht mit seinen noch übrigen 14. Raub-Brüdern / und giebt ihnen zu erkennen daß das Meisterstück von ihrem Handwerck an den Galgen kommen / oder mit einem halben Karren (wie sie das Rad nennten) fahren würde / und daß er gesinnt sich an sichere Ort zu entfernen: theilet ihnen die Barschafft aus / und nimmet nur einen mit sich / welchen er für den Getreusten gehalten.

9. Nach dem sich nun diese Rauber dar und dorten verkrochen / hat sich Guillery / als ein Edelmann bekleidet / nach Bordeaur / und von dar nach S. Justin begeben / ein Ort das fast auf einer Einöden gelegen da er vermeint sicher zu seyn. Eine junge und reiche Wittib / verliebte sich in diesen Guillery / welcher seinen Adel hoch rühmte / und mit den andern Edelleuten der Orten gute Kundschafft hielte / daß sie ihm zu seiner Verheuratung behülfflich waren / und er nun vermeint / daß er den Straff-übel / welches er verdient / durch seine Fürsichtigkeit / entgangen. Er[364] wohnte auf seines Weibes Schloß / belustigte sich mit jagen und beitzen / guter Gesellschafft und aller zulässiger Kurtzweil.

10. Nach drey oder vier Jahren / als diesem Rauber seine böse Thaten unter den vergessenen Sachen fast entfallen / (wie wol ihn das böse Gewissen zu zeiten erinnerte) raiste ein Kauffmann von Bordeaur zu S. Justin durch / dem Guillery über 2000. Pfund vor Jahren genommen hatte / und erkannte ihn / fragte deßwegen nach / wer der Edelmann? wo er sich aufhielte / und erlangte allen Bericht von seinem Zustand. So bald er nach Bordeaur kommet / meldet er solches dem Schergen Haubtmann deß Orts an / und bittet ihn den Vogel handfest zu machen. Dieser erfreuet sich über der Zeitung / nimmt seine Leute zu sich / und rucket bey Nachts fůr das Schloß / auf welchem Guillery wohnte / lässet seine Reuter absteigen / und nechst dem Schloß hinter einem Gemäur in der Lausche liegen / er aber rucket an die Schlagbrucken /und begehrt mit dem Herren zu reden / ergreifft sein Pistol / und gehet also in den Schlaffhosen für das Schloß heraus. Der Schergen Haubtmann sagt / daß er mit ihm in Geheim zu reden / und wincket seinen Leuten daß sie ihn greiffen solten: Er aber vermerckt den Trug / schiesst das Schergen Haubtmanns Pferd für den Kopf / und giebt Fersen Geld auf den Wald zu / daß sie ihn auch damals nicht erwischet.

11. In was elendem Zustande er wieder gesetzet worden / ist unschwer zuermessen: er war ohne Geld /ohne Kleider / ohne Freunde / und ein jegliches rauschendes Blat erschrecket ihn. Ohne Menschen konte er nicht leben / kehrt deßwegen nach Bordeaur / setzet über das Wasser / und wird von einem Kauffmann /den er vor der Zeit beraubet / erkannt / welcher ihm stillschweigen begleitet / biß nach Royan / da er seine Einkehr in dem Spital nimmet. Der Kauffmann meldet es den Schergen an / die also bald nach dem Bettler in dem Spital fragen und ihn in das[365] Gefängnis führen /wie wol mit Furcht daß vielleicht der Kauffmann keinen Diebstall auf ihn möchte erweisen können. In dem sie nun mit ihm daher ziehen / kommet ein andrer und sagt / daß dieses Guillery / der ihm 100. Franken bey Rochelle genommen. Als er solches hörte / sagte er: Nun ist meine Stunde kommen / ich bin der berühmte Räuber / ich sehe nun wol daß mich GOtt /durch die Obrigkeit straffen wil. Wie er dann auch nach Rochelle geführet / und alldar lebendig getädert worden.


Die vermessen sich bemühen /

Gottes Straffen zu entfliehen /

werden endlich viel zu spat

sehen / daß sie sich betrogen.

Wer am Sünden Joch gezogen /

wird ob seiner Missethat /

wolverdiente Straffe leiden /

und sie schwerlich lang vermeiden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 361-366.
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