(CXXXII.)

Der doppelte Ehebruch.

[452] »GOtt wil den Ehestand heilig gehalten haben / und vergleichet seine Kirch einem vertrautem Weibe / sich aber ihrem ehlichen Mann / der sich mit ihr verlobet in Ewigkeit / und vertrauet in Gerechtigkeit wie der Prophet Osea 2. redet.« Aus der Eigenschafft nun deß Gegenstandes ist zu schliessen / daß der Ehebruch von dem Satan / als dem Feind Gottes / der bemühet ist aufzulösen was Gott verbunden / und zu entzweyen was er zusammen gefüget / herkomme und entstehe. Solches erhellet unter andern auch daher /daß der Ehebruch viel verdamliche Laster und auch zeitliche Straffen nach sich ziehet / wie solches in folgender Erzehlung deß Herrn von Chabrie Frau / Alcina genannt / mit ihrem Ehbrecher Tolonio erweisen kan.

2. In der Landschafft Provenze in Frankreich ist ein kleines Stättlein / genamt la Grasse / unfern von Nice / gelegen in einem sehr fruchtbaren Erdboden / da das Sprichwort war: je besser Land / je bösere Leute. In diesem irrdischen Paradiß ist ein Schloß genamt Chabrie / dessen Herr sich mit einer[452] Tochter seines Nachbaren verehlichet / von dem Geschlecht Maz bürdig /die ein gutes Gerůcht unter allen ihren Gespielen /und auch ihre Jugend in löblicher Keuschheit zugebracht. Mit ihrem Herrn hat sie vier Kinder erzeuget /und eine friedliche Ehe besessen / biß in das viertzigste Jahr ihres Alters / da sich dann begeben / was der Inhalt dieser traurigen Geschichte seyn wird.

3. Man sagt / daß junge Einsidel alte Teuffel werden: junge Huren alte erbare Weiber / und keusche Jungfrauen alte Huren: massen sie nicht nur die Wangen sondern auch ihre Geberden schminken / und den meinsten die Heucheley gleichsam angeboren / daß wer sie völlig erkennen wil / nicht nur einen Metzen /sondern wol ein Futter Saltz mit ihnen verzehren muß. Dieses befande sich auch bey Alcina deß besagten Herrn von Chabrie Eheweib / welche das Lob ihrer blühenden Jugend mit einem schändlichen Alter vernachtheilet / und ihrem Herrn angewünschet / was er nur einmal haben / und nicht wieder erlangen mögen.

4. Ein Gerichtlicher Sachwalter war ihrem Herrn bedient / welcher auch verheuratet / und deßwegen so viel weniger verdächtig / daß ihm auch im Abwesen deß Mannes / in die Schlaffkammer zu gehen verlaubt war: da dann / wie man zu sagen pfleget / die Gelegenheit den Dieb / und wie der Italiäner sagt: der eröffnete Geldkasten auch den Gerechten sündigen machte. Wie sie beede einander verleitet / und den doppelten Ehebruch vielmals verübet / wil ich mit stillschweigen übergehen / als ein Werck der Finsternis / das deß Liechtes nicht würdig ist.

5. Ein Abgrund der Sünden rufft dem ander / massen sie es hierbey nicht verbleiben lassen / sondern die Hinderung ihrer Mißhandlung aus dem Wege raumen wollen / in dem sie zween Meuchelmörder bestellet / die den Herrn von Chabrie nechst seinem Hauß ermordet / und sich mit der Flucht gerettet. Was Hertzenleid diese Ehebrecherin über ihres[453] Mannes Tod in Worten und Geberden vermerken lassen / ist nicht außzureden / daß also niemand gedenken können / daß sie die Ursacherin solches Mords seyn solte.

6. Tolonio eilte sie zu trösten / und ihr mit Hülff und Raht beyzustehen / weil ihm ihres Herrn Rechtshändel wissend / etc. suchte also Gelegenheit vielmals auf das Schloß zu kommen / und das vormals getriebne Sůnden Leben fort zu stellen. Dieses vermerkte der ältste Sohn / und ob er zwar wol wuste / daß Tolonio verheuratet / und er ihn als einen Stiefvater nicht zu fürchten / konte er sich doch nicht enthalten seine Fr. Mutter mit aller Bescheidenheit zu erinnern /sie solte dem Haußgesind keine Ursach geben / von ihrer Vertreuligkeit mit Tolonio / bösen Verdacht zu schöpfen / etc.

7. Ob sich nun diese falsche Raben-Mutter entschuldigte / daß ihre Freyheit nicht übel zu deuten /und er noch nicht gelernet hette / wie man sol nohtwendige Leute / als Tolonio / mit Freundligkeit gewinnen müsste / etc. sich auch darůber nicht erzürnet: so hat sie doch getrachtet / auch diese Hinternis listig aus dem Wege zu setzen. Es war ein hoher Gang zwischen ihren zweyen Häusern / darauf pflegte dieser ihr Sohn zuweiln hin und wieder zu spatzieren: Ihme nun eine Fallen zu legen / bestellet sie Tolonio / daß er zwey Bretter bey Nachts loß machte und also hinlegte / damit der darauf tretten würde hinunter fallen / und den Halß brechen můsste / wie dann auch erfolgt /und also dieser junge Edelmann sein Leben unschuldig eingebüsset.

8. Der andre Sohn hasste diesen Tolonio von Natur / und gabe ihm etlichmals so unbescheidne Wort / daß ihm die Mutter Einhalt thun musste. Damit nun auch dieser ihren Liebshändlen nicht hinderlich / bestellet Tolonio einen von den Mördern / welche seines Anhangs Mann ermordet / und lässet ihn auf einer Jagt /von einem hohen Felsen stürtzen. Doch waren sie in ihrem Gewissen / und sündlichen Leben noch nicht frey / und mussten sich für dem[454] Haußgesinde fůrchten: deßwegen sie rähtig werden / sich mit einander zuverehlichen / und zu solchem Ende erdrosselt Tolonio sein frommes Eheweib / vorgebend / daß sie der Schlag gerůret / welches er auch mit vielen Threnen wollen glauben machen. Dieses war also der vierte Todschlag dieser Ehebrecherischer Unleute.

9. Der Verstorbnen Vater kommet seine Tochter zu beweinen / und betrachtet daß ihr Angesicht auffgeloffen / und der Hals gantz erschwartzt / wegen deß gerunnenen Bluts / welches sich bey der Gurgel gesamlet: deßwegen er bey der Obrigkeit üm Besichtigung bittet / die dann alsobald etliche Wundärtzte dahin abgeordnet / und Tolonio deßwegen besprechen lässet / der auf so unerwarteten Frag erschrickt / und nicht ein Wort zu seiner Entschuldigung sagen kan /da er doch sonsten einer von den Beredsten in der gantzen Statt gewesen.

10. Hierauf ergehet der Befehl / man sol den Tolonio in Verhafft bringen / und ihn wegen dieser Mordthat peinlich befragen: er erwartete aber keines solchen Ernsts / sondern bekante sich für den Mörder seiner verstorbnen Haußfrauen / und auch deß Herrn von Chabrie und seiner Söhne / mit Beschuldigung der Alcina / die ihn zu diesem übel allen gereitzt und verleitet. Weil nun dieser Fall höchst sträflich / hat die Obrigkeit deß Orts solchen an das Parlament nach Aix (von den aquis Sextiis vorzeiten genennet) gelangen lassen / welche außgesprochen / daß Tolonio wieder in seine Statt la Grasse geführet / und aldar auf dem Richtplatz lebendig geviertheilt werden solte /welches auch mit sondern Frolocken aller der Weiber deß Orts beschehen.

11. So bald aber Alcina der Gefängschafft ihres Tolonio einträgtig worden / hat sie alles / was sie an Geld und Geldeswehrt gehabt zu ihr genommen / und damit das Reiß- aus gespielt. Nachgehends hat sie vernommen / daß er geviertelt / und man[455] auch nach ihr gegriffen / deßwegen sie vermeint sie sey in dem Savoischen nicht gesichert / und ist also nach Genua gewichen. Ihr Diener / welchen sie angenommen /weil sie keinen von ihren Haußgenossen getraut / hat seinen Vortheil ersehen / und seine Frau / als sie auf eine Zeit in die Kirchen gegangen (weil sie ihre Sünde zu bereuen angefangen) beraubt / und alles ihr Vermögen entwendet / dadurch sie in solche Armut gesetzet worden / daß sie andern dienen / üm den Lohn arbeiten / und ausser Land / in einer frembden Statt /deren Sprache sie nicht kündig / in grössten Elend sterben müssen.

12. Also můssen die Ehebrecher erfahren / was es für ein Hertzenleid sey / von dem HErrn ablassen /und seine Gebot freventlich ůbertretten. Vermutlich hat Alcina Buß sie von deß Henkers Hand gerettet /weil Gott Buß für die Sůnde annimmet. Es ist aber wol zu beobachten / was übel aus den Fleisches-Lüsten herkommen / welche folgender Verß artlich verfasset:


Corpus, Opes, animam, Ingenium, Famam, Virtutes:

debilitat, perdit, necat, impedit, inficit, aufert.


Trittreimen

Den Leib / das Gut / die Seel / Verstand /

Gerůcht und Tugend:

kränkt / schwächt / verdammt / verderbt / verleurt und raubt der Jugend.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 452-456.
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