(CXXXVIII.)

Die Plage der Pestilentz.

[478] GOtt hat mancherley Plagen der Menschen Sůnde zu straffen / wie sie auch ihnen mancherley Gelegenheiten suchen Gottes Gebot zu übertretten. Wie nun die Kranckheiten so von Füllerey herkommen / durch Fasten und Nůchterkeit geheilet werden / also straffet Gott Fressen und Sauffen / mit Theurung und Armut /Stoltz und Pracht / mit Krieg und Blutvergiessen / die Unzucht und Hurerey / mit der abscheulichen Plage der Pestilentz. Diese letzte Begebenheit zu Lyon /wird mit Fueg unter die traurigen Geschichte gezehlet / und ist dem / der es mit Augen sehen müssen /nichts traurigers jemals zu Gesichte kommen.

2. Im Jahr 1628. in dem Heumonat ist deß Marggrafen von Uxelles Kriegsvolck durch das Lyonische Gebiet dem Hertzogen zu Mantua zu hůlffe gezogen /da sich denn begeben / daß auf einem Dorf Vaux genannt ein Soldat an der Pest gestorben / und von seinen Spießgesellen in einen Garten verscharret worden. Nach wenig Tagen hat der Regen die wenige Erden / mit welcher er bedeckt gewesen abgeflösset /daß der Leichnam gesehen worden / und der Bauer deß Gartens ihn wieder aus / und auf den Kirchhof begraben lassen. Denselben Tag sind alle in dem gantzen Hauß an der Pest gestorben / und auch etliche Nachbaren / damit angestecket worden.

3. So bald nun das Gerücht erschollen / wie die Pest in diesem Dorf angefangen / haben die verordneten[478] zu dergleichen Fällen von Lyon aus / alle Nothturfft mit einem Capuciner / und einem Wundartzt dahin verschaffet / daß sie nicht solten Ursach haben in die Statt zu gehen / sondern bey Lebens Straffe verbotten / daß niemand aus dem Dorff weichen solte. Die Gewiensucht aber hat etliche von andern Dörffern dahin getrieben / daß sie die verstorbnen Erben / und ihre grüne Waaren von allerhand Erdgewächsen ohne Geld kauffen / und wieder in der Statt verkauffen wolten: darüber auch andre Dörffer gefährt und etliche in der Statt mit der Pestin angestecket worden: wie man dann die Thor bey der Rohneprucken / gegen besagter Dörffer Gegend gelegen / versperret hat / und solches wegen der Zufuhr deß Getreids / nach 5. Tagen wieder öffnen müssen.

4. In folgenden Monat August hat die Pest angefangen üm sich zu greiffen / und haben sich viel Rauber gefunden / welche die Handheben an vornemen Häusern mit Fett beschmieret / daß sich die Inwohner darfür entsetzet / sich auf das Land begeben / und ihre Behausung den Dieben gleichsam eingeraumet / deßwegen etliche gehenkt / und auf einen Tag zehen Hugenoten / welche man dieser Missethat aus Feindschafft beschuldiget / erwürget worden. Etliche von den Raubern haben bey Nachts wie die Raben geschrien / sich gantz schwartz bekleidet / und die Häuser beraubt / deren etliche gerädert und gehencket worden.

5. Dieser Plage sind auch die Gefängnissen nicht befreyet gewesen / daß man alle Gefangene hat müssen loß lassen. Alle Handarbeit / Handel und Wandel hatte aufgehört / und fanden sich bey zwantzig tausend Armer / welche Brod von der Obrigkeit heischten: deßwegen die Armen vertheilt / und jedem 3. Solds den Tag gereichet wurde. Das Elend in der Statt ist nicht außzuschreiben. Alle Gassen lagen voll Kranker und Todter / und wurden ihrer viel von den bestellten Wartern und Todtengräbern beraubt. Die schwangern Weiber / welche solche abscheuliche Leichnam gesehen haben vor der Zeit geboren /[479] und sind ihrer viel an den Kindheben gestorben / ohne Hülffe und Handreichung daß ihrer unter 500. mehr nicht als zwo darvon gekommen.

6. Etliche haben nicht anders geraset / als ob sie von dem bösen Feinde besessen gewesen. Viel Kinder welchen die Mutter verstorben / haben verschmachten müssen / und etliche hat man mit Geißmilch auferzogen. In dem Hospital / welches von der Christlichen Liebe den Namen hat / ist von 225. Personen / so dar innen gespeiset worden / niemand erkrankt / da sonsten wenig Häuser in der gantzen Statt / ohne Todten gewesen.

7. Etliche so geschlaffen / sind von den Todtengräbern lebendig eingenehet / und aber nicht begraben worden / deren noch etliche leben: etliche sind also wegen andrer Kranckheiten lebendig begraben / weil man die Kranken / wann der Wagen vorüber gefahren ist / ob sie gleich noch nicht gestorben darauf geworffen. Ein Kupftrstecher hat sich gefürchtet / er möchte nicht eingenehet / und also entblöset in das Grab geschleppet werden / deßwegen er sich selbsten biß an den Hals in ein Leilach verhüllet. Viel sind zween und wol drey Tage in Zügen gelegen / und haben nicht ersterben können. Etliche haben sich in die Brunnen gestürtzet / etliche in den Fluß.

8. Ausser zweiffel ist / daß die bösen Geister auch ihre Hand mit in dem Spiel gehabt / die Leute erschrecket / mit allerhand Verblendungen / und viel in solchem Elend zu der Unzucht gereitzet. Etliche sind 8. Tage in ihren Zimmern liegen geblieben / daß man sie aldar mit Kalch bedecken müssen / und hat man sie wegen deß Gestancks nicht bewegen dörffen. Viel haben die Raben / die Hunde und Katzen zerbissen /weil sie in den Weinbergen nur halb eingescharret gewesen. Zu Nachts hat man auch die Wölffe in der Statt hören schreyen.

9. Ein Handwercksmann hatte sich bezechet / und ist unterwegs auf der Gassen liegend verblieben / den Rausch außzuschlaffen. Die Todtengräber legten ihn auf den Wagen zu den andern Todten / als sie[480] ihn aber in die Gruben werffen wollen / ist er aufgewacht / und darvon geloffen. Der Wein ist zu solcher zeit sehr schädlich / weil er den Leib erhitzet / daß der Gifft so viel eh fangen kan. Die meinsten haben mit dieser Krankheit den Verstand verlohren / und sich wenig zu dem Tod bereiten können.

10. Die Predigten und Vermahnungen hat man auf freyen Platz gehalten / damit die Leute ferne von einander stehen und zuhören können / da sich dann begeben / daß ein Jesuit dem Volk ihre gehaltene Faßnacht verwiesen / in welcher sie den Bacchum oder Weingötzen auf einem Siegwagen / durch die Statt gefůhret / und darbey gesungen und geschrien wie die Sileni und Bacchides / etc. In dem er nun hiervon redete kam der Todten-Wagen gefahren mit vielen Leichnamen beladen: Dieses sagte der Jesuit / ist nun der Siegswagen / darauf ihr aus dem Trauer Hauß in das Grab geführet werdet / etc. Hierdurch hat er ihrer sehr viel zu einem eiferigen Gebet / und ernstlicher Buß beweget. Man hat den Verlust der Verstorbenen auff hundert und dreissig tausend geschetzet / und wie man vor dem sterben neunzehen Mühlräder haben müssen: also hat man hernach nicht mehr als neune von thun gehabt.

11. Aubigni / berichtet auch / daß er in Britannien beobachtet / daß Abents und Morgens gleichsam ein gelblicher Nebel von dem Himmel gefallen / darvon alle / welche auf der Gassen oder auf dem Felde gewesen / so wol Menschen als Viehe an der Pest gestorben. Zu Lyon hat ihrer viel das fliehen / welches die beste Artzney seyn sollen / wenig geholffen / und hab ich / als ich kurtz nach solcher Seuge dahin gekommen / sagen hören / daß ein Edelmann auf seinem Schloß mit allen seinen Hauß-Gesinde / ja auch den Hunden und Pferden an der Pest verstorben gefunden worden: Daher die gemeine Rede gegangen / wann Gott einen nicht erhalten wolle / so helffe nichts er thue was er auch wolle. Der H. Kirchenlehrer Augustinus giebet diesen Raht: Gleich[481] wie einer der Schiffbruch leidet / sich nicht an ein Eisen oder Stück / sondern an ein Bret hält: also sollen alle / welche in den Schiffbruch ihrer Seelen begriffen sind / sich an das Kreutz halten / und mit eiferigem Gebet ihre Rettung von Gott erwarten.


12. O Pfeil geschwinder Tod / bey Alten und bey Jungen /

Du bist gleich einem Dieb zum Fenster eingesprungen.

Du eilst und kommst daher mit überschnellem Schritt.

du fliegst in eine Statt / und weichst mit lassem Tritt.

Du lässest auff dem Bett dem Krancken nicht lang bleiben

und pflegst ihn durch die Plag' und Schmertzen aufzureiben.

Wol dem / und aber wol der bald und selig stirbt.

und durch deß Todes Krieg das Himmelreich erwirbt.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 478-482.
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