(XV.)
Die vergoltene Treue.

[64] Etliche Erzehlungen können unter einem Titel stehen / gleich wie alle Tugenden gleichsam an einer Ketten hangen / deren jede ein absonderliches Glied machet / und im Gegensatz auch ein Laster an dem andern hanget / massen hiervon Meldung zu finden / in dem CCLXXXI. Gesprächspiele / da ein jedes in der Gesellschafft einen absonderlichen Titel über die Geschichte vorschlägt / und in[64] dem CCLXXII. Spiele / sechs Erzehlungen unter dem Titel Gespenster beygebracht worden. Wie aber ein Unterscheid an der Zahl und dem Innhalt; also bemühen wir uns auch die Titel zu ändern / daß keiner zweymahl in dem gantzen Werck vorkommen soll / massen auß erstbesagter und folgender Begebenheit zu ersehen seyn wird.

2. Florus und Hyacintha / Veris Sohn und Tochter / waren in aller Dürfftigkeit geboren und erzogen / jedoch von Jugend auff zu der Tugend und allem guten angewehnet / daß diese mit Lyonelle / jener mit Salvio / dessen wir zuvor gedacht / etlicher massen eine Vergleichung haben mögen. Veris hielte sich in seines Herrn Hause / und wurde ihm und seinem Weib viel anvertraut. Nach dem nun seine Kinder erwachsen / erlangt er die Verwaltung seines Schlosses / und derer darzu gehörigen Burgerschafft / welche er mit solcher Teue versihet / daß sein Herr und er Gottes Segen reichlich verspührten.

3. Florus deß Veris Sohn gehet seinem alten Vatter zu der Hand / und verhält sich wohl / daß ihm nach seligem Absterben seiner beeden Eltern die Verwaltung anbefohlen wird. Seine Schwester hielt ihm Hauß / und war nichts geringes an ihr zu sehen / als die Bekleidung / dann ihr Angesicht so wol gebildet / ihr Verstand so klug geartet / und ihre Reden so schicklich / das wenig Jungfern in den Stätten dieser Hyacintha gleichen möchten.

4. Die Tugend ist eine Flamme / welche sich nicht bergen lässet / sondern auff alle Begebenheit herfür leuchtet / und sich verwundern machet. Nicht wenig Liebhaber fanden sich um dieses Bild / und verwundete solches auch Calpurnium / den jungen Edelmann / dessen Verwalter Florus war. Die Heilung solcher Schmertzen war nicht zu hoffen / weil das Eheband zwischen so ungleichen Personen keines Wegs zu bemitteln; sondern suchte Calpurnius Gelegenheit mit dieser Dirne sündlich zuzuhalten / und unterliese keine Weise noch Wege / welche er zu seinem Verlangen vorträglich erachtete.

Hyacintha vermerckte auß ihres Herrn Worten / was[65] er böses in dem Sinne / und bittet deßwegen ihren Bruder / diesem Beginnen Rath zu schaffen / unnd angetraute Gewaltthätigkeit zu unterbrechen; massen der Edelmann die Löwenhaut anziehen wollen / als er mit dem Fuchsbalg nichts erhalten können / ob er wol Hebin Flori Haußknecht / zu Beförderung seiner Liebe erkaufft / der die Hyacintha zur Ungebühr zu verleiten / fleissig und emsig bemühet war.

6. Florus wurde bey so beschaffenen Sachen beweget / seine Schwester auff eines Edelmans Schloß in die Nachbarschafft zu flehen / da sie eine edle Frau in ihre Beschirmung angenommen. Hierüber wurde Calpurnius in Zorn so betrübt / daß er Florum von dem Dienste geschaffet hette / wann er allein zu gebieten / und er seinen Vatter nicht fürchten müssen; Deßwegen spannt er andere Saiten auf / und gibt für / es solle Hebin Hyacintham freyen / und sprache deßwegen dieser Kupler Florum an / und solches mit so verdeckter List / daß der gute Mann vermeint es seye Ernst / und were die Gelegenheit der Hyacintha wol anständig.

7. Hyacintha aber wolte diesem Schwetzer keinen Glauben zustellen / sondern bate Florum / er solte ihm einmal für allemal das Neinwort geben / und daß sie keine Neigung sich zu verehlichen / vorwenden / wie er auch gethan. Hebin hielte diesen Korb für eine Verachtung und Schande / so er nicht könne ungerochen lassen / und bedraut Florum / der sich aber vor seinen Worten keineswegs entsetzte / und den Angriff erwarten muste.

8. Nachdem diese Senne an Calpurnij Bogen auch nicht halten wolten / und Hyacintha in einer Freystatt / darvon sie nicht zu bringen / besinnet er eine andre List / und vermeint sie in dem Feld anzutreffen / und darvon zuführen. Als ihm dieses auch mißlungen / und wegen andrer die darzu kommen / Hyacintha sich auß seinen Händen mit der Flucht gerettet / bittet sie ihren Bruder Florum / sie in Manns-Kleidern davon zuführen / welches er auch / nachdem er sein geringes Vermögen zu Gelt gemacht / gethan und mit ihr auff Namur /[66] von dar nach Bastogne in das Lützelburger Land entwichen.

9. GOtt / der sich der unschuldig-verfolgten annimmet / schickte daß Florus von Sylvester / einem Grafen / für einen Kammerdiener angenommen wird / und Hyacintha für einen Edelknaben / da sie sich redlich und fleissig verhalten / daß Sylvester ein gnädiges Belieben ob ihren Diensten gehabt / und begabe sich eine Gelegenheit ihre Treue absonderlich zu beglauben / unnd noch mehrere Gnade zu erlangen / folgender Gestalt.

10. Sylvester wolte seine Kinder Ardeliam und Olanum an Herman und Bertham / Leandri Sohn und Tochter verheuraten / und hatte die Sache auf der andern Seiten bey den Eltern vergewissert / und von seinem Sohn / der ein Soldat / und den rechten Schenckel im Kriegswesen verlohren / unnd seiner Tochter schuldigen Gehorsam erwartet. Olanus aber und Arthelia wolten nicht darzu verstehen / wegen unterschiedlicher Ursachen. Ob sich wol hinckende Herman alle Tritte seiner Tapferkeit erinnerte / und solches Ehrenmahl in seines Königs Diensten erlangt; so wolte doch die Artelia keinen hinckenden Mann haben / und solcher Wahn wurde von Tage zu Tage in diesem schwachen Werckzeuge stärcker: Olanus hatte einer andern sein Hertz ertheilt / und war deßwegen nicht fähig Bertham zu lieben nemlich Cicilia einer edlen Jungfrauen / deren Schönheit in seinen Augen / allen andern vorzuziehen; weil sie aber nicht reich genug / wolte sein Vatter nicht zugeben / daß er sich mißheuraten solte / böse Tage unnd gute Nächte haben.

11. Hierunter wurde nun Tigarin (also nennet man Hyacintham in deß Edelknaben Gestalt) gebraucht / eines Theils von dem Vatter / er solte den Olanum von der Cicilia zu der Bertha wenden; und theils von dem Sohne / besagter Cicilia Huld zu erlangen. Tigaris der geglaubte Edelknab / wolte noch einen noch den andern erzörnen / sondern verhielte sich so bescheiden / daß der Vatter wol vermerckte / wie er[67] seinem Befehl gehorsamte / und der Sohn dir Ursachen / so Tigaris wider seine Neigung angeführt / für giltig achten muste.

12. In dem nun Tigaris oftmals zu Cicilia geschicket wurde / und seinen Befehl mit angenehmer Höflichkeit abgelegt / verliebte sich Cicilia in Hyacintham / und lässet von Olano ab / welches er zu hinterbringen / und ihn mit Umständen zu erzehlen nicht unterlassen / dardurch auch die Liebesflamm gegen dieser Jungfer erkalten machen / und seinen Bruder Florum / der ihr an Gestalt und Schönheit nicht gar ungleich / an ihre statt zu stellen / als welchem sie zu einem Weibe reich genug gewesen.

13. Benebens diesem Streit von aussen / hatte Hyacintha der liebliche Edelknab dergleichen Anligen zu Hause / in dem ihn Ardelia nicht minder als Cicilia liebte. Dieses eröffnete Hyacintha ihrem Bruder Floro / und auf dessen einrathen Silvestre / welcher gebetten / er solte Bertham bereden / daß sie von ihm ablasse / unnd ihre Liebe auf Herman wenden solte. Solches außzuwürcken hat Tigarim der Bertha eröffnet / daß sie ihres Geschlechts und eine Weibsperson were / deßwegen sie ablassen / und hingegen den tapfern Herman lieben solte / wie auch erfolgt.

14. Nach dem nun Tigarim in Hyacintham verwandelt worden / hat sich Lucio ein Edelmann in der Nachbarschafft gefunden / der seiner Eltern neulich beraubt / zu seinen vogtbaren Jahren kommen / vnd nun eigenes Willens worden. Dieser lobte und liebte Hyacintha schönen Verstand / begehrte sie an jhren Bruder Florum / und steurte sie Silvester / wegen wol geleister Dienste reichlich aus / nach dem sie nemlich allerseits verstanden / auß was Ursachen sie Mannskleider anzuziehen gezwungen worden.

15. Also hat Hyacintha den Ehrenlohn der Zucht darvon getragen / uns zu lehren daß die Tugend endlich überwindet / und die Treue welche man in Diensten erwiesen / durch sonderliche Schickung GOttes reichlich vergolten werde: Wann sich aber Hyacintha zur Ungebühr verführen hätte lassen / were sie ohne allen Zweiffel zu Schand und Spott[68] worden / und hätte vielleicht in Armut und Elend ihr Leben verschliessen müssen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. LXIV64-LXIX69.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Die Reise nach Braunschweig

Die Reise nach Braunschweig

Eine Reisegruppe von vier sehr unterschiedlichen Charakteren auf dem Wege nach Braunschweig, wo der Luftschiffer Blanchard einen spektakulären Ballonflug vorführen wird. Dem schwatzhaften Pfarrer, dem trotteligen Förster, dem zahlenverliebten Amtmann und dessen langsamen Sohn widerfahren allerlei Missgeschicke, die dieser »comische Roman« facettenreich nachzeichnet.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon