(LIX.)
Das Nestelknüpffen.

[211] Das Nestelknüpfen nennet man / wann unter wehrender Einsegnung zweyer Eheleute / ein Nebenbuler oder sonsten neidischer Mensch / deß Hochzeiters Nestel / welche er in den Hosen getragen / mit gewissen Worten zusammen knipfet / daß er seinen Vertrauten die Eheliche Gebühr nicht leisten kan / biß solcher Nestel wider aufgelöset wird. Dieses ist in Franckreich sehr gemein / und an etlichen Orten / wo man sich solcher Zauberey besorgt / der Gebrauch / daß man die Zeit der Trauung geheim hält / vnd die Hochzeitliche Begängniß etliche Tage hernach anstellet.

2. Hierbey fragt sich / ob solches natürlicher / oder übernatürlicher Weise beschehe? Daß es deß Menschen feinds Erfindung seye / ist nicht zu zweiffeln / weil er den Ehestand und die Fortpflantzung unsers Geschlechts / auff alle Weise zu verhindern / hingegen aber alle unreine Befleckung zu fördern trachtet. Wie hiervon zu lesen August. de doctrina Christianæ l. 2. c. 20. weil nun der Fürst der Finsterniß Urheber unnd Ursacher solcher Bezauberung / ist nicht zu verwundern / daß wir dieselben Ursachen / nicht ersehen können / ob gleich solche in der Natur gegründet / und nicht übernatürlich zu nennen.

3. Etliche finden in untersuchen der Ursachen / daß die Bildungskräfften das Eheliche Werck sehr verhindern / wie auch der Haß / Neid / die ungestalte eines Weibs / die Traurigkeit / etc. hingegen die gar zu grosse Liebe / Freude / und das brünstige Verlangen Ehre einzulegen / dardurch die Geister zerstreut / verhindert und zurücke gehalten werden / daß die Bildungs Krafft zu viel oder zu wenig erregt / und der Lust zu dem Liebes Werck ohnmächtig darnieder lieget. Etliche Exempel seynd zu lesen bey Regnier und Montagal.[211] Sind also zwo Ursachen solches Unvermögens / deren die erste natürlich die ander übernatürlich. Die natürliche komme her auß Ermanglung deß Samens der Geisterlein welche solchen Lebhafft machen und beseelen / und drittens die Verhinderung solchen von sich zu lassen. Die erste Ursachen findet sich bey den Alten / bey Krancken / und kan durch Artzney zu wegen gebracht werden. Die ander Ursach entstehet vō starcken übūgen / Müdigkeit und vieler Arbeit. Die dritte kommet her von Verstopfung ungesundem Geblüte / grossen Bewegungen / in Flüssen welche auf die Geburtsglieder zu fallen pflegen. Die übernatürliche Ursachen sind Bezauberungen / so durch deß Teuffels Knecht außgewürcket werden; in dem nemlich die Bildūgs Kräfften zerrüttet / welches er bey Gottlosen Leuthen wol thun kan / oder ein Haß in Feindschafft zwischen den verlobten angerichtet wird. Dieses ist nun nicht schwer zu erkennen: In deme nemlich die ersten Ursach gegen alle andre gleich / die letzten aber nur gegen eine Person / und nur auff eine gewisse Zeit biß die Nestel wider aufgeknüpfet / befindlich und würckend. Deßwegen dann die Geistlichen Rechte verordnet / daß man solche Ehen nach dreyen Jahren wider scheiden / und anderweit zu verheuraten frey lassen solle.

4. Nach dem wir nun diese Sache betrachtet / wollen wir unser Geschichte / so sich zu Lion begeben / kürtzlich erzehlen / und dem Leser heimstellen / welche Ursachen dieses Orts für schücklich zu halten / und das Eheliche Werck so kräfftiglich verhindert.

5. Peron und Gilbert zween Frantzösische vom Adel / lebten in fast brüderlicher verdraulichen Freundschafft / daß auch niemals kein Widerwillen und Zwiest unter beeden entstanden; wiewol einer den andern zu Zeiten geschertzt. Es begiebt sich / daß Gilbert sich in eheliche Verlöbniß / mit einer sehr schönen Adelichen Jungfrauen einläst / und seinen Hochzeitlichen Ehrentag erfreulich bestimmet / welches Peron ihme nicht zu mißgönnen Ursach hatte / weil er zu Pariß mit einer andern solte versprochen werden.

6. Diesen nun seinen Freund die erste Nacht seines[212] Beylagers zu schertzen / nimmet er die Nestel auß seinen Hosen / und ziehet eine andre hingegen hinein / welche der ersten gleich / daß Gilbert sich nichts böses zu versehen Ursach. Peron befindet sich unter den Hochzeit Gästen / und knipfet unter währender Einsegnung die Nestel mit etlichen Worten / so darzu gebraucht werden. Legt hierauff die Nestel / von sich in einen verschlossnen Behalter / willens solche folgenden Tags wieder auffzulösen.

7. Es begiebt sich aber / daß Peron auff der Post nach Paris beruffen wird / und noch an des Gilberts Hochzeit Tage verraist. Gilbert aber spühret / daß er bey seiner Vertrauten / ohne Mannschafft / und die eheliche Schuldigkeit auff keine Weise abstatten kan / darüber betrübt er sich sehr / fragt ümb Rath / vnd ob er wol hörte / daß sein Gebrechen von Nestelknüpffen entstanden / möchte er doch nicht errahten / wer jhm solches gethan / weil er keine Feinde noch Nebenbuhler gehabt. Inzwischen aber nimet er am Leib ab / dorret auß / und erkrankt an der Schwindsucht / mit grossem Hertzenleid seiner Jungen Frauen.

8. Nach zweyen Jahren kommt Peron wider nach Lion / unn besuchet seinen alten vertrauten Freundt in besagtem Zustandt. Als er aber sein Unglück vernommen / und den verknüpften Nestel die gantze Zeit über vergessen gehabt; eilet er so bald die Nestel auffzulösen / und kommet Gilbert üm verzeihung zu bitten / daß er auß Unbedacht so grossen Schmertzen verursacht. Gilbert verstehet solche Bekäntniß mit ergrimmetem Gemüt / ergreifft das nechste auf dem Tische liegende Messer / und stösset es Peron in das Hertz / daß er so bald zu Boden gesuncken / und Tod hinweg getragen werden müssen.

9. Ob nun wol Gilbert in das Gefängniß geleget / wurde er doch / wegen der gerechten Ursach seines Zorns / nicht an dem Leben / sondern an Gelt gestrafft / und hat sich von der Stunde besser befunden / und hernach seinem Eheweib gebührlich beygewohnet / und Kinder mit ihr erzeuget.

10. Hierauß ist zu sehen / daß der böse Feind seine Hand[213] allezeit mit in dem Spiel / und gleich wie der Gerechte seines Glaubens lebt / also muß der Ungerechte seines Glaubens in dem er teufflischen Künsten vertrauet / sterben / wie hier Peron der es zwar nicht böß gemeint / aber bösen Lohn für den gantz unverantwortlichen Schertz empfangen. Alle andere Glieder kan man zu aller Zeit gebrauchen: Die Geburtsglieder aber nur in dem Männlichen Alter / und nur zu gewisser Zeit / gleich wie alle Früchte ihr Wachsthumb / Vollkommenheit / und Abnehmen / daß man auch in diesem Falle sagen möchte / verderbe es nicht / es ist der Segen darinnen.

11. Hierbey fällt mir bey die Frage / welche Renchinus de morbis Virginum setzet: Ob die Nonnen und Jungfrauen / für keusch zu halten / welche Schafmüllen Seeblummen / etc. zu Dämpffung fleischlicher Lüste gebrauchen? Diese Frag beantwortet er mit nein / weil kein Sieg und keine Tugend / wo kein Feind welcher wider die Seelen streitet zu überwinden. Man könte zwar sagen / daß man solche Gehilffen mit in den Streit nehme: Der Sieg aber ist viel herrlicher / wann er ohne solcher Behufe erhalten werden kan / wiewol solche Mittel fůr sich ohne Sünde gebrauchet werden können / wann nur das Hertz rein / welches Gott ohne Befleckung haben unnd besitzen will.

12. Auß besagten ist leichtlich zu schliessen / daß man den H. Ehestand mit dem lieben Gebett anfangen / bevor aber sein Gefäß rein behalten soll / damit wir nicht durch das gestraffet werden / wodurch man sich versündiget. Ein frommer und Gottsfürchtiger Mensch wird für solchen Hexereyen wol gesichert seyn / ein Ruchloser aber / der auf den Wegen Belials wandelt / wird diesen unreinen Geist / der nur über die Unreinen Macht hat wie Tobias erfahren / und zuvor sein Wesen in ihm hat / nicht entfliehen mögen / und sich endlichen mit spater Reue betrogen finden? ja diesen Lügner bey Gott / den er verlassen / vnd jhme / als seinen Feinde / angehängt / nicht mehr verklagen können.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCXI211-CCXIV214.
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