(LXXXIII.)
Die gerette Keuschheit.

[300] Die Keuschheit gleichet einem reinen Diamant / der mit vielen edelen Tugendsteinen ümsetzet ist. Der Diamant kan das Feuer erdulden. Wie die Keuschheit alle Anfechtungen außstehet / und einen Silberhellen Glantz von sich stralet. Diese Tugend der Menschen ist billich Englisch zu nennen / weil sie der Grund ist eines unbefleckten Lebens / wie hingegen die Unkeuschheit die trübe und verschläumbte Quelle aller Sünden und Laster. Solcher Tugend haben wir bereit etlichs mahl Anregung gethan / weil sie aber selten Wahrhaftig / und der Hund welcher Jungfrauen frisset / fast außdorret / wollen wir der Jugend zu löblicher Nachfolge / noch etliche Exempel auf unsern Schauplatz führen.

2. Der Frantzösische Haubtmann Bayard ist mit Fug genennet worden der unverzagte und unvergleichliche Rittersmann; ja es haben alle Helden-Tugenden (wie jener redet) in ihm ihren Muster- oder Sammelplatz gehabt. Die Gottesfurcht / Tapfferkeit / Erfahrenheit / Redlichkeit / Großmütigkeit / Freygebigkeit / Höffligkeit / Treu und Lieb seines Herrn unn seines Vatterlandts / waren die Glieder der güldenen Ketten / welche sein herrliches Ansehen zierten. Wie solches in einem[300] absonderlichen Büchlein beschrieben / und auß vielen nur eine Erzehlung hieher soll gesetzt werden.

3. Vorbenamhter Bayard diente zu Zeiten deß Königs Ludwigs deß XII. in Welschland / und sonderlich in der Belägerung der Statt Bresse in dem Meiländischen gelegen. Sein Gebrauch war / daß er der erste in der Gefahr zu seyn pflegte / und nach dem die Mauren durch den schweren Zeug gefället worden / ist er der erste auff derselben gewesen / und wurde fast tödlich verwundet / daß er sich in ein Hauß tragen / und seinem Leutenambt den Befehl überlassen muste. Man verbande ihm seine Wunden in der Eil / und wurde ein Wund artzt gesucht / ihn wider zu heilen.

4. Das Hauß / in welches er gebracht worden / war eines Bressanischen Edelmanns / deme Beyard zusprache / er solte getrost seyn / und sich versichern / daß ob er wol als ein Feind in die Statt gekommen; er doch als ein Freund in seinem Hause sein werde / und sein Haab und Gut / als ein Schutz-Engel verwachen / und von der Plünderung retten wolle: Zu solchem Ende lässet er seinen Nahmen an die Thür schreiben / und etliche von seinen Soldaten für der selben Wacht halten.

5. Der Haußwirth / so wohl als sein Weib / danckten GOTT für diesen Friedens-Gast / und baten ihn / daß er alles ihr Vermögen / nach Krieges-Gebrauch / und Eroberung eines feindlichen Platzes nehmen / hingegen aber verhůten wolle / daß doch deß Frauen-Volcks von den lustrenden Soldaten möchte verschonet werden. Wann ich / antwortete Bayard / an meinen Wunden sterben solte / so versichere ich doch / daß mein Feldherr / mir die Gnade thun / und euch samt allen den eurigen / Haab und Gütern seine Beschirmung / und Obhalt nehmen soll.

6. In dem er nun nach und nach wider genesen / und ohne seines Wirths Beschwernüß indem Hause gewesen / auch alles bezahlt / wie in einem Wirtshause / hat ihme die Mutter mit ihren zweyen Töchtern fleissigst auffgewartet / und er ihnen hingegen mit solcher Höflichkeit begegnet /[301] daß sie seine Tugend nicht gnugsam rühmen können. Der Jungfrauen erfreuliches Gespräch / klingen und singen hatte ihme nicht wenig bitterer Stunden versüsset.

7. Als er nun wider zu dem Heer abreissen / und die gantze Statt fast ausser diesem Hause geplündert worden / hat ihm sein Wirth 1000. Kronen für sein und der seinen Lösegeld angebotten: Bayard aber hatte nicht einen Heller begehret. Weil aber der Edelmann wuste / daß Bayard in der Blinderung deß Orths nichts bekommen / als die Ehre eines tapffern Soldatens / und in seiner Heilung viel verzehret; haben sie ihm 200. Ducaten an Gold / in einem schönen Beutel eingehändigt / welches er auch angenommen; jedoch anders nicht / als ein Vorlehen eines guten Freundes.

8. Die Tochter in dem Hauß beschencket ihn auch mit Armbändern / Kräntzlein / etc. von ihrer Hände Arbeit / welche er mit grosser Höfflichkeit erkennet / sagend: Schöne Jungfrauen / ihr wisset daß die Soldaten lieber nehmen als geben! und ich bin zwar auch unter denselben / aber ohne Undack / und Widergeltung. Verehrte also hernach darfür einer jeden tausend Kronen / und das andere Gelt hinderliese er der Mutter / sie solte es den Armen / welche sich in der Belägerung und Eroberung der Statt gehäufft haben werden / in ihrem Namen außtheilen.

Auß dieser Erzehlung erhellen die löblichen Tugenden dieses Rittermanns. Die Tapfferkeit / in der Eroberung der Statt: die Gerechtigkeit in Erhaltung seines Wirts Behausung: Die Redlichkeit in Beschützung dieser Jungfrauen Ehre: die Freygebigkeit in Außtheilung so kostbaren Beschenckung: der Gottesfurcht in dem er so grosses Almossen hergeschossen: Die Höflichkeit in dem er der Jungfrauen Geschencke nit verachtet. Es ist fast zu zweiffeln / ob noch viel solche Soldaten zu finden.

10. Es haben bey diesen Kriegsläufften ehrliche Jungfrauen sich auf seltzame Weise geschützet / weil sie wol gewust / daß sich wenig solche Ehrenreiter (darzu von Alters her die Ritter sich verbunden) finden. Unter dem Königlichen[302] Schwedischen Heer hat sich eine junge Dirne sechs Jahr in Mannskleidern aufgehalten / und für einen Soldaten Jungen gedienet / welche / als sie einsten geschlaffen / an etlichen Korallen / so sie an dem Hals gehabt / für eine Weibsperson angegeben worden: da sie dann alsobald von einer Obristin in Dienst genommen / die Kleider verändert / und bekennet / daß sie ihres Bruders Kleider / welcher in Eroberung Amöneburg erschossen worden / zu Rettung ihrer Ehre angezogen / und auf selbe Stund unerkant verblieben.

11. Es erzehlet auch der treffliche Jesuit Jacob Balde (l. 3. Lyric od 26) von einem Bauren Mägdlein in dem Beyerland / daß sie in einem Dorff / als jedermann darvon geloffen auß Furcht der Soldaten / allein zurücke geblieben / und weil sie wolgestaltet und schön / sich nicht in geringer Gefahr gesehen / von ihnen geschändet zu werden. Solchen vorzukommen / hat sie sich zwischen etliche todte Leichnam / nach der Länge geleget / biß die Soldaten vorüber gezogen / wol wissend / daß sie unter den Toten sicherer / als unter den Lebendigen.

12. Hierbey fället eine Frage für / ob eine Jungfrau lieber ihr Leben durch deß Schänders Mord-Hand / als sich ihrer Ehre berauben lassen soll? Wann ins gemein ein Christlieber sterben / als wider sein Gewissen in eine Sünde willigen soll / so ist die Frag mit ja zubeantworten: deß vertrauens / daß ihn Gott / mit dem Loth und seinen Gästen von den Gottlosen Sodomiten / und der Susanna von ihren falschen Zeugen helffen werde. Dergleichen sind etliche Exempel zu lesen bey Eusebio. l. 6. c. 5. und Ambrosio serm. 19. In einem solchen Zustand hat sich Lucretia befunden / welche als eine Christin lieber hette sterben / als in den Ehebruch willigen sollen. Daß sie sich aber hernach selbst ermordet / kan nicht verantwortet werden / wie Augustinus in seinem 1. Buch von der Statt Gottes am 16. Cap. lehret. Von solcher That sind folgende Verßlein zu mercken.


Hat sie auß frecher Lieb' / ihr Ehebett lassen schänden /

So hat sie nach der That sich selbsten abgestraft.[303]

Hat sie sich dann auß Zwang zu Tarquin müssen wenden /

So hat sie keines wegs für Fremde Schuld gehafft.

So ist sonder Ehr' / ohn Keuschheit Rhum gestorben:

Vnd auf den andren Fall' / ohn Vrsach schlecht verdorben.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCC300-CCCIV304.
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