(CVII.)
Die großmůtige Bescheidenheit.

[27] Die Bescheidenheit wird mit Fug genennet das Schiff oder der Wagen aller andern Tugenden / und ist ein Theil der Christlichen Liebe / von welcher der Apostel saget / daß sie sich nicht ärgere / und nicht erbittern / oder erzörnen lasse / welches sonsten auch Sanfftmut genennet wird / und ein Göttliche Eigenschaft ist / die der Demut vorgesetzet wird / wann unser Erlöser sagt: Ich bin sanfftmütig / und von Hertzen demütig. Bey solcher Tugend erweiset sich auch eine Großmütigkeit / in dem man die Verleumdung mit Bescheidenheit verachtet / und nit leichtglaubig ist / wie nach folgende Erzehlung lehren soll.

2. Ein Marckgraff und ein Graff in Franckreich / waren beyde grosse Herren / beyde Königl. Leutenante / beyde frölichen Sinnes / denen nächstgelegenen Landschafften (oder Provincien) anvertrauet / und miteinander in guter Freundschaft stunden. Es begabe sich nun / daß die Underthanen deß Marckgraffen müde waren / die Fasten über einen seicht gelehrten / doch frommen Mönchen predigen zu hören / und liessen durch Mittelspersonen einen andern berühmten Prediger / welcher sich in deß Graffen Gebiet auffgehalten / ersuchen / daß er ihnen die Fasten über predigen solte. Derselbe berufft sich auff seinen Herrn / der Herr auff den Bischoff / unter welches Geistlichen Bottmässigkeit die Sache gehörig.

3. Der Bischoff wurde von der Sache berichtet / und weil ihm deß Predigers Person wol bekant / hat er ihm Befehl gethan / ihrem Begehren zu willfahren / und die Fasten Predigten abzulegen. Die Mönchen widersetzten sich dieser Verordnung / daß man sie wolte von der Cantzel stossen / die sie von vielen und langen Jahren her betretten / wähnende / daß man dardurch suche ihre Einkunfften zu schwächen / und endlich gar auß dem Kloster zu jagen: zu deme wäre dieses nichts anders / als daß man ihnen ihre Ungeschicklichkeit auffrucke / als ob keiner unter so vielen / von seinem Handwerck ein[28] Stündlein reden könte. Mit solchen Gedancken wollen sie Berge außreissen / unn die undanckbaren Pfarrkinder straffen / etc.

4. Diesem allen zuwider ergehet die Bischoffliche Verordnung / daß der Frembde die Cantzl besteigen / unn den Mönchen das Nachsehen gelassen werden solte. Die Sache nun zu unterbrechen / gebrauche sie solche Meuchellist. Arcade deß Marggraffen Thorwärter / welcher zuvor Kammerdiener bey seinem Herrn gewesen / und als er sich geheuratet / mit solchem Ampt versehen worden / pflegte grosse Vertreulichkeit mit den Mönchen / weil er / wie etliche sagen / seinen Vatter in dem Kloster hatte. Dieser war ein Soldat gewesen / ein dummes Kind / der unter seines Herrn Mantel alles meistern wolte / und versprache den Mönchen / er wolle sie / so gering er auch seye / bey ihrer Cantzel oder Predigstul erhalten.

5. Dieses Vorhabens kommet Arcade zu dem Graffen / und wird von jhm höflichst und freundlichst empfangen / wegen seines Herrn / mit welchem er zu sagen pflegte. Nach andern Reden und Nachfragen von seines Herrn Zustande / sagte Arcade / der Graff solte verhindern / daß der neue Prediger die Mönchen nicht von der Cantzel treibe / dann sonsten ein grosses Lermen darauß entstehen würde. Der Graf sagte / daß es ein Lust zu sehen seyn solte / wann die Mönchen einen Krieg anfiengen / und also die streitende Kirchen vorbilden würden: Es solte aber bald Fried werden / wie unter den wilden und zahmen Bienen / wann man ein Hand voll Sands unter sie wirffet: also solte der Aschermitwoch diese Krieger vereinigen.

6. Arcade sagte / daß wann er seinen Prediger dem Volck würde auffdringen / so solte er wissen / dz sich nit nur Geistliche / sondern auch Weltliche der Sachen würden annehmen / und es ihn bereuen machen. Der Graff sagte / auß großmütiger Bescheidenheit / daß der Bischoff verhoffentlich diesen Prediger mit keiner grossen Hoffstatt dahin senden werde. Wann aber der Marggraff / euer Herr / sich mit mir schlagen wolte / so würde er mir einen andern Bottschaffter / als euch schicken.[29] Arcade versetzte / daß er redete als ein Soldat / und nicht als ein Knecht: und ich sagte der Graff / als ein Hauptmann; Ich wil euch aber was anders weisen / und befahle seinem Diener / man solte auffdecken / setzet ihn zu Tische / und that ihm alle Ehr an / mit Bitte / er solte doch vergessen / der unter ihnen gewechselten Worten.

7. Arcade vermeinte der Graff würde ihm / wegen seiner harten Soldaten Reden einen Spott anthun / als er aber seine grosse Höflichkeit sahe / meinte er / der Graff fürchte sich / und würde ihm nach der Mahlzeit noch ein Pferd gegeben / weil er zu Fusse gekommen / und deß Weins so viel zu sich genommen / daß er es ohne solchen Gehülffen / nicht hätte heim tragen können. Arcade wolte es nicht annehmen / der Graff aber ließ es ihm durch seinen Laqueyen nachführen / welches ihm auch in solchem Zustand gar wol gedienet. Als er nun nach Hause kommen / hat er den Zorn mit sich gebracht / und den Laqueyen sampt dem Pferd mit Schelt-Worten zurücke gewiesen. Als solches dem Graffen angesagt worden / hat er deß undanckbaren Gastes gelachet / und sich keines Weges darüber erzörnet / weil er solches für keine genugsame Ursache gehalten.

8. Als nun Arcade dieses Orts nichts außrichten können / machte er sich zu seinem Herrn / und sagte viel Unwahrheiten / daß er nemlich suche seine Bottmässigkeit zu erstrecken / die Pfarr-Gerechtigkeit an sich zu ziehen / und ihn in Rechtfertigung einzuführen: zu solchem Ende / sagte er / hat er zuwegen gebracht / daß instehende Fasten Zeit sein Prediger hier auffstehen / und das Volck zu einer Auffruhr oder Ungehorsam erregen wird. Nichts ist so heilig / daß nicht die Lügen vernachtheilen kan. Als sich nun der Marggraf hierüber erzörnte / fuhre der Affterredner fort / und sagte / er könne nicht verschweigen / daß der Graf sich vernehmen lassen / sein Prediger müsse deß Marggraffen Kantzel besteigen / und solte sie auff seinen Knebel-Bart erbauet seyn.

9. Der neue Prediger nun kame den Marggraffen zu begrüssen[30] / und um Verlaub bitten / daß er zu folge seines Bischoffs Verordnung / in seiner Statt predige / etc. Der Marggraff war von Arcade eingenommen / doch hörte er / daß der Graff sich dieser Sachen nicht theilhafftig gemachet / und habe niemals anders von ihme / als von einem guten Nachbarn geredet. Arcade stande gegenwärtig / und erblaßte / (welches der Marggraff wol beobachtete) wolte aber doch mit Schwören behaupten / daß alles wahr / was er hinderbracht. Der Marggraff drauet ihn zu erwürgen / wann er ihn mit Falschheit berichte. Arcade beharret zwar / aber mit einer Stimme / die sehr verdächtig ware.

10. Hierdurch wird der Marggraff beursacht / einen Edelmann an den Bischoff abzufertigen / zu erkündigen / welcher Massen diese Sache an- und außgebracht worden. Der Bischoff stimmet dem Prediger und Bürgern bey / daß der Graff diese Person nicht gerne erlassen / und daß es mit solcher Bescheidenheit geschehen / dz noch der Marggraf noch die Mönchen sich zu beklagen. Einer von den Benachbarten schläget sich auch in den Handel / und versichert daß Arcade mit Unwarheit / diese Herren an einander zu hetzen / und dardurch die Mönchen vor diesem Einkömmling zu schützen vermeint.

11. Der Marggraff wolte diesen falschen Gesellen nach Verdienst abstraffen / der Graff aber bate noch für ihn / und sagte / daß solches von andern Leuten herkäme / welche sich seiner / als eines Werckzeuges gebrauchen wollen / dz er also eine unschuldige Ursache solches Streits / welchen er doch so böse nicht möchte gemeinet haben. Dieses war widerumb eine sehr grosse Bescheidenheit / welche selten und wol merckwürdig ist. Als nun diese beyde Herren zusammen gekommen / und / wie zuvor frölich gewesen / hat der Marggraf den Diener für sich kommen lassen / und seine gar schlechte Entschuldigung angehöret.

12. Ob nun wol der Graff auß überflüssiger Höfflichkeit gebetten / es solle doch der Marggraff dem Arcade verzeihen / hat er doch anders nichts erhalten können / als daß er ihn prügeln / und seiner Dienste erlassen. Als er nun seine Thorheit[31] erkennen müssen / hat er die Schuld seines Unglückes auff die Mönchen geschoben / welche sich seiner bedient / wie jener Aff der Katzen / die Kästen auß dem Feuer zu holen. Ob nun der solches lieset / dergleichen großmütige Bescheidenheit gebrauchet / wann ihm / was dem Graffen von dem Arcade widerfahren / lasse ich dahin gestellet seyn: wann er ihn zu verdienter Straffe gezogen / hätten wir nicht Ursach gehabt / seiner hie zu gedencken. Jener Rabbi sagt recht / daß ein König nicht besser regieren könne / als wann er in allen Sachen GOttes Sanfftmut und Gerechtigkeit nachfolgete.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 27-32.
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