(CXXI.)
Der wolthätige Feind.

[75] Die Jagt wird mit Fug der Krieg zu Friedens Zeit genennet. Man gewohnet der Arbeit / Hunger / Durst / Frost / man erlernet der wilden Thiere ihre Liste / man gebrauchet sich der Waffen mit Tapfferkeit / und suchet einen Feind dessen Obsieg viel verantwortlicher ist / als der durch die Menschen und Christen-Mord erhalten wird. Die Soldaten / welche man anführet / sind die Jagthunde / die Kundschaffter die Stauber und Spürhunde / und kan zu Zeiten ein solcher Feldherr auch unterliegen / und von dem Wilde beschädiget werden / oder durch das Jagen sonsten in Unfall kommen / wie auß folgender Geschichte zu vernehmen seyn wird.

2. In der adelichen Stadt Siena / dieser Zeit unter der Florentinischen Bottmässigkeit / hat sich begeben / daß zwey von den vornembsten Geschlechten / die Salambiner und Montanier mit einander eine Hatz angestellet / und ein Haubt-Schwein mit vielen Hunden unnd Leuten / nicht sondern grosse Mühe gefället. Nach vollender[75] Hatze / lobte ein jeder seine Hunde / und wolte das beste darbey gethan haben. Wie nun das Gerücht eine Waage hat / und gleichsam einem Theil zu leget / was dem andern abgehet / als werden sie hierüber strittig / und kommen von den Worten zu den Wercken / daß viel verwundet werden / und der vornembste von den Salimbenern auff dem Platz bleibet / die andern aber die Flucht geben. Nach dem sie sich aber in der Stadt gestärcket / und sich gerächet / haben die Montanier weichen müssen / und sind nach und nach auffgerieben und vertrieben worden / biß auff einen Karl Montani genamet / der mit seiner Schwester Angelica einen schlechten Stand führete / und den Salimbenern gewonnen gabe / weil er nicht bey der Jagte gewesen.

3. Der Adel war meisten Theils auß der Stadt vertrieben / wie gesagt / und hatten sich die Rathsherren / welches gemeine Leute waren / verglichen / und ein Gesetz gemachet / daß wer die Verjagten wieder in die Stadt zubringen / unternehmen würde / solte am Leben gestrafft werden / verhoffen also die eingezogene Güter zu behalten / und an übrigen Adel Ursache zu finden / welcher wegen sie auch selber verbannen könten. Dieses Gesetzes bediente sich ein reicher Burgersmann / dem Montani sein Land Gütlein / das ihm von seiner Eltern reichen Haabe allein über geblieben / nicht verkauffen wolte / und liesse ihn durch die dritte Person beklagen / daß er einem Vertriebenen wieder in die Stadt helffen wollen / deßwegen er auch auff den Tod gefangen lage.

4. Anshelm Salambien / sein Feind war in die schöne Angelicam Montani Schwester verliebet / und wuste nicht / was durch Mittel er ihr zusprechen / und sie zu einer Gegenneigung bewegen solt. Als nun das Urtheil wider Montanin ergangen / daß er auß Gnaden in 10. Tagen 1000. Kronen Straff-Gelt zahlen solte / bey Verlust seines Lebens / inzwischen aber in dem Gefängnuß verbleiben; allermassen Camaleon der reiche Burger und vornemste Rahtsherr solcher Gestalt / das besagte Land-Gut an sich bringen verhoffend /[76] diesen gantzen Handel angesponnen und außgewürcket. In dieser Noth beschickte Cameleon / und wolte ihm das Gut verkauffen. Der Wucherer aber liesse sich vernehmen / daß er dieser Zeit nicht bey Gelt / und ob er ihm wol vor dessen 1000. Ducaten darüm gebotten / wolte er doch dieser Zeit über 700. nicht gern darvor geben / weil die Gelder auff Zinß mehr tragen / als ein Land-Gut / dessen Einkunfften dem veränderlichen Jahrgang unterworffen.

5. Weil nun dieser Montani seine Schwester Brüderlich liebte / entschleußt er sich / in diesen nachtheiligen Verkauff nicht zu willigen / sondern lieber in seiner Unschuld / welche man nicht einmal anhören wollen / zu sterben / und setzet solches Vorhabens ein Gedicht auff / nachgehenden Begriffs.


Was hat doch über mich der Himmel nicht verhänget:

vor / war ich von dem Feind / nun von dem Tod bedränget.

ich bin deß Lebens müd / ihr Schwestern schneidet ab.

den Faden der es hält / unnd reist mich in das Grab.

Ach / daß ich nicht im Streit / gleich andern bin gestorben /

die / durch den kühnen Tod / Ehr / Ruhm und Lob erworben.

wo seyd ihr meine Freund? ihr habt der Raben Sinn /

wo nichts zu rauben ist / kompt euer keiner hin.

zu helffen auß Gefahr. Ach weh! wer hilfft mir streiten.

die Armut und der Tod / die stehen mir zur Seiten.

die Armut schreit mir zu / daß ich den Freyheits Stand

und meine junge Tag / auß diesem Fesselband

ohn Geitz / erkauffen sol. Der Tod verlacht das Leben /

so sonder Ehr unnd Gelt muß in Verachtung schweben /[77]

unschuldig Schuldenreich. Soll ich deß Geitzes Knecht /

mich selbsten bringen üm / und mit mir mein Geschlecht:

Ach nein / der Wucher-Geitz / daß der mich falsch beklaget /

kürtzt mir das Leben ab. Doch hab ich nicht verzaget /

weil ich sterb' ohne Schuld. Es ist mir aber gut /

daß ich mit Vorbedacht zahl der Natur Tribut.

der Engel den ich lieb' (Angelica) soll leben;

ich armer Sünden Mensch / wil mich dem Tod ergeben.

GOTT / der die Hertzen kennt / regiere meinen Sinn /

und nehm' auch meines Feinds und Mörders Sünde hin.


6. Angelica konte ihrem Bruder diese Tods Gedancken nicht auß dem Sinne bringen / ob sie wol gelobte keine Stunde nach seinem Tod zu leben. Die Zeit verflosse inzwischen / und niemand wolte sich dieses Gefangenen annehmen. Die Freunde auff ihrer Mutter Seiten kamen die schöne Angelicam zu trösten / und ihres Brudern Liebe zu rühmen; sie aber wil sich nicht trösten lassen / sondern klagt und schreyet über die unerhörte Unbillichkeit der geitzigen Richter / und stellet sich gantz ungeberdig / daß die Nachbarn / als zu einer Rasenden zu gelauffen / und sie verhindern müssen / daß sie ihr selbsten den Tod nicht angethan.

7. In dem kommet Anshelm von seinem Land-Gut / und höret in dem vorbey reiten das heulen und weinen in seiner Angelica Behausung / verstehet auch nach Befragung warum es zu thun / und betrachtet was ihm in solcher Begebenheit obliege. Wie nun bey seinem Feinde die Armut und der Tod gestritten; als hat sich bey ihm / zwischen der Liebe und der Feindschafft / nicht geringerer Zweiffel erhoben. Die Liebe reitzte ihn an / seinen Feind auß der Gefängnuß zu lösen / und durch solche großmütige That zu einem Freunde zu machen: Hingegen aber hielte er für eine sondere Schickung / daß der letzte von seinen Feinden in dieses Unglück kommen / und darinnen ümkommen solte.

8. Nach langem Bedacht / nimmet er zu sich 1000. Ducaten /[78] und lösete nicht allein den Betrübten unnd zu dem Tod bereiten Gefangenen / sondern zahlet auch die Unkosten gegen einem Schein / und Befehl / daß er also bald der Verhafft solte erlassen werden. Montini ist dieses eine fröliche Zeitung / und fügte sich Abends zu Hauß / als den folgenden Tag / die gegebene Zahlungsfrist verlauffen solte. Wie Petrus in der Apostel Geschicht / bey Nachts nicht wolte erkennet werden / also ergange es auch Montini / und war niemand mehr erfreuet / als Angelica / welche wie er vermeinte das Gut verkaufft oder verpfändet / unnd ihn außgelöset. Nach langem befragen aber fanden sie / daß ihr Feind ihnen diese grosse Freundschafft erwiesen / und daß sie noch ein mehrers von den 1000. Ducaten einzunehmen.

9. Montini hatte beobachtet / daß Anshelm vielmals bey seinem Hauß vorüber gegangen / und so wol in der Kirchen / als anderer Orten die Angelicam mit verliebten Augen betrachtet. Als er nun mit ihr Rath gehalten / und sich danckbar zu bezeugen vermeinet / in dem er ihm diese Freygebigkeit / mit seiner Geliebden zu erwiedern verhoffet / hat Angelica auß vielen Ursachen darein nicht verwilligen wollen; eins Theils / weil er ihres Geschlechts abgesagter Feind; anders Theils / weil ihr übel anstehen solte / einer Mannsperson nachzugehen / und gleichsam üm ihn zu bulen / wider allen löblichen Gebrauch.

10. Dieses beedes hat ihr Montini endlich außgeredet / und auff einen Abend seinen wolthätigen Außlöser / benebens seiner Schwester / in seiner Behausung zugesprochen / und sich ihme / als einem leibeignen teuer erkaufften Knecht dargebotten / mit gebührlichem Ruhm seiner Großmütigkeit und Tugend / ihme benebens / zu Bezeugung danckbaren Willens / seine Schwester Angelicam / zu ehlicher Trauung angegeben. Anshelm erfreuete sich über dieser Erkantniß hertzlich / achtete alle Schätze der Welt zu gering / eine so schöne Jungfer zu erkauffen / welche nicht anderst als durch Liebe zu erwerben / etc.[79]

11. Nach kurtzer Zeit wurden diese beyde mit einander getrauet / und auß Feinden die vertrauesten Freunde / daß also Angelica Ursach hatte / GOtt für ihres Bruders Erledigung / Erhaltung ihrer Güter / unnd einen so wehrten Eheherrn zu dancken. Der alte Wucherer Camaleon / welcher seines Nachbaren Land-Gut / wie Jesabel deß Nabots Weinberg / in der Hoffnung verschlungen hatte / muste nicht ohne Hertzenleid ersehen / daß ihm der Raub auß den Händen gewunden worden /

12. Hierbey ist es nit verblieben / sondern Camaleon ist widerfahren / gleich jenem der seine Scheuren weiter bauen wollen / und dieselbe Nacht seine Seele von ihm gefordert wurde. Also hat diesen Wucherer ein Schlag gerühret / daß man ihm das Maul mit Erden gestopffet / und also vergnüget hat. Montini ist auch ohne Namens Erben gestorben / und also dem wolthätigen Feind mit seiner Verlassenschafft das Lößgelt reichlich wieder heimgefallen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 75-80.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon