(CXLIII.)
Die Zwiedorn.

[152] Von seltzamen Sachen haben wir Teutsche seltzame Sprichwörter: Es ist so seltzam / als ein weisser Floh / als die Faßnacht ohne Narren / als ein Kramer der keine falsche Waar hat / als ein Wahrsager / der allezeit eintrifft / als ein Schneider / der alle Flecke wieder gibt / als ein Schornsteinfeger / der nie russig worden / etc. Ich setze noch darzu: es ist so seltzam / als ein Weib / die ein Mann ist / oder als ein Mann / der ein Weib ist.

2. Diese Leute nennen wir ins gemein Zwidorn / und finden sich solche Pferde / Geisse / Hasen / Schlangen / die Hyena in Ægypten / ein Fisch Trochus genannt / und fast alles Ungezieffer / das männlicher und weiblicher Natur zugleich. Solche Menschen aber werden herum geführet / und für Geld gezeiget / wie andre Mißgeburten und Wundersachen / wer nun solche zu sehen nit Luft hat / der bleib darvon / und wer hiervon nit lesen wil / schlage das Blat um. Uns begnüget solche Leute hier vorzustellen / und zu bedeuten / daß ein jeder Gott zu dancken / der mit dergleichen Beschaffenheit / so in unsrem Lande seltzam / sich nicht befindet.

3. Die natürliche Ursachen solcher Geburten sind / daß sich in ehelicher Vermischung mehr Samen / als zu einer Frucht vonnöthen / und weniger als zu Zwillingen erfordert wird / vorhanden / und so wol der Männliche als Weibliche Same[152] in gleichen Kräfften / daß / wann desselben mehrers / Zwillinge männliches und weibliches Geschlechtes darauß werden müsten. Hierbey thut nun die Einbildung der Mutter nicht wenig / in dem sie ihr ein Manns- und Weibsperson zugleich in das Gedächtnis drucket / und bald diese / bald jene wünschet.

4. Die Sternkůndiger wollen / daß solcher Zwidorn Empfängniß beschehe / wann Mercurius und Venus (von welchen sie Hermaphroditen genennet werden) in dem achten Hauß / als dem Zeichen deß Löwens sich befinden. Dieses aber könte so viel nit würcken / wann nit vorbesagte Umstände mit einlauffen. Viel halten solche für keine Mißgeburten / weil sie nichts an ihnen / das einem Thier ähnlich / und Gott keine Landstraffen dardurch bedeutet / und solche Leute unter den Männern oder Weibern von den Gesätzen erdultet werden. l. Quæritur ff. de statu homin. l. Repetund. §. Hermaphrod. ff. de Testib. l. sed est quæsitum in ff. de lib. & posth. c. si testis §. Hermaphrod. 10. quæst. 3.

5. Die Heyden haben solche Geburten ersäufft / oder verrennet / und unter die Mißgeburten gerechnet / wie auch diese sind / welche zween Köpffe / vier Füsse / vier Hände / und dergleichen / gestalt solches so leicht geschehen kan / wann / wie gedacht / der Samen zu Zwillingen zu wenig und zu einen Menschen zu viel ist: nicht anderst / als wie aus zweyen Dottern / wann das Häutlein in der Mitten durch einen Fall oder Stoß zusammen reisset / ein doppeltes Hun wird / wie bey Aldrovando und Fortunio Lyceto zu lesen.

6. Es sind aber der Zwiedorn viererley Arten: dreyerley in den Mannspersonen / und eine in den Weibspersonen. Wann nemlich nechst / oder hinter / oder ober dem männlichen Geschlecht / auch das Weibliche sich befindet; iedoch / daß das Männliche das stärckste ist / es diene gleich zu dem natürlichen Gebrauch oder nicht / und diese könte man nennen weibliche Männer / oder Weib-Männer.

7. Die vierte Art ist / wann sich über der weiblichen Schame ein männliches Glied / oder etwas so demselben gleichet befindet / jedoch ohne Gebrauch / und diese möchte man nennen[153] männliche Weiber / oder Mann-Weiber: massen nach der Eigenschafft unsrer Sprache das letzte Wort in den verdopelten / oder zusammgesetzten Zwillingswörtern (wie Lutherus die composita teutschet) besagt was ein Ding seye / als wann ich sage / Rahthauß / Kauffhauß / Spielhauß / Wirtshauß / etc. Da hört man / daß es ein Hauß / und wie oder was es für ein Hauß / sagt dz vorgesetzte Wort. Verwendet / ist es ein Haußrath / Haußkauff / der nit auf dem Marck geschiehet / ein Haußspiel / ein Haußwirt / etc. Also sag ich auch Mannweib und Weibsmann / wiewol es noch etwas neu klinget.

8. Es befinden sich aber solche zweyerley Geschlechte / entweder so bald sie geboren werden / oder etliche Wochen hernach / und ist in etlichen das männliche Glied verborgen / daß solches erst in den 14ten und 15ten Jahren / wann die natürliche Hitze bekräfftiget / herauß bricht. Zu meiner Zeit ist ein Teutscher zu Sancerra gewesen / der beklagt worden / daß er eine Magd geschwängert / er aber erwiesen / daß er solches nit fähig / und nur eine kleine Außladung das Wasser von sich zu lassen habe; deßwegen ihme auch von den Richtern nichts beschwerliches aufferlegt worden.

9. Der Herr de la Thomasiere aber hat ihm mit einem Schnitt geholffen / daß das männliche Glied in seiner Vollkommenheit herauß gebrochen / und hat sich dieser nachmals wider geübet / und einen jungen Titium hinderlassen.

Dergleichen Geschichten finden sich auch in Otthonis Melander Schimpff und Ernst. Diese werden falsch- oder Schein-Zwiedorn (Pseudoandrogyni) genennet.

10. Etliche haben noch ein / noch das andre Geschlecht in ihrer Vollkommenheit / und solche können keine Kinder zeugen / und sind den Verschnittnen gleich zu achten / etliche haben beede nach äusserlichen Ansehen vollkommen / könten sich aber nur eines bedienen / jedoch daß sie von den andern etliche Eigenschafften weisen. Plato wil / daß der erste Mensch ein solcher Zwiedorn gewesen / und von den Göttern zertheilet worden / daher komme die Liebe noch / die Mann und Weib zusammen tragen Sonders zweiffel hat er gelesen oder gehöret / daß Eva[154] auß der Rippe Adams erschaffen worden / und zuvor (1. Mos. 1. v. 27.) von ihnen / als von einem Menschen geredet worden / daher er sie auch alsobald erkennet und gesagt / daß sie Fleisch von seinem Fleisch (1. Mos. 5. v. 23.)

11. Von diesem ist nun die Frage / wie man sie erkennen und tauffen soll; weil sich nit geziemet / daß man einem Mann einen Weiber-Namen / noch einen Weib einen Männer-Namen in der H. Tauff zueigne. Die Antwort ist diese / daß deß Geschlechtes Zeichen / welches auf der rechten Hand gesehen wird / allezeit das stärckste und darvon der Name und Beschaffenheit eines solchen Menschen beurtheilt wird. Wann aber ein solcher Zwiedorn bey seinen Verstand / kan er selben sagen / ob er mehr Männisches oder Weibisches an sich befinde. Ins gemein sind die in dem Männer Geschlechte gar zu kalter / in dem Weiber Geschlecht gar zu warmer Natur / daß sie selten Kinder zeugen / wann sie unwissend zugelassen werden.

12. Hieher gehöret auch die Frage von den Mauleseln / und warumb keine männliches Geschlechtes erfunden werden? Die Naturkündiger halten solche für unvollkommene Thiere / weil sie von einer gemeinen Eselin / mit welcher ein Hengst belegt worden / fallen / und doch noch Esel noch Pferbe / sondern zwischen beeden eine dritte Art sind / und Maulesel genennet werden. Wer aber wissen wil / was der übermässige Beyschlaff bey den Menschen verursachet / der schaue einen geilen Hengst an / wie mutig und frisch er das Mutterpferd angehet wie schwach und matt er wieder darvon kommet: deßwegen Gallenus recht geantwortet / als ihn einer gefragt: Wann er einem Weibe beyschlaffen soll? geantwortet: Wann er an allen seinen Kräfften schwächer werden wolte. Aus einem alten Stein soll man dieses Inhalts Lateinische Verse gefunden haben:


Wilt du leben lang gesund /

so lieb nicht das Venuswerck,

überfülle nicht den Mund /

und üb täglich deine Stärck.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 152-155.
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