Maria Antoinette

[25] Wie heiter im Tuilerienschloß

Blinken die Spiegelfenster,

Und dennoch dort am hellen Tag

Gehn um die alten Gespenster.


Es spukt im Pavillon de Flor'

Maria Antoinette;

Sie hält dort morgens ihr Lever

Mit strenger Etikette.


Geputzte Hofdamen. Die meisten stehn,

Auf Taburetts andre sitzen;

Die Kleider von Atlas und Goldbrokat,

Behängt mit Juwelen und Spitzen.


Die Taille ist schmal, der Reifrock bauscht,

Darunter lauschen die netten

Hochhackigen Füßchen so klug hervor –

Ach, wenn sie nur Köpfe hätten!


Sie haben alle keinen Kopf,

Der Königin selbst manquieret

Der Kopf, und Ihro Majestät

Ist deshalb nicht frisieret.


Ja, sie, die mit turmhohem Toupet

So stolz sich konnte gebaren,

Die Tochter Maria Theresias,

Die Enkelin deutscher Cäsaren,


Sie muß jetzt spuken ohne Frisur

Und ohne Kopf, im Kreise

Von unfrisierten Edelfraun,

Die kopflos gleicherweise.
[25]

Das sind die Folgen der Revolution

Und ihrer fatalen Doktrine;

An allem ist schuld Jean Jacques Rousseau,

Voltaire und die Guillotine.


Doch sonderbar! es dünkt mich schier,

Als hätten die armen Geschöpfe

Gar nicht bemerkt, wie tot sie sind

Und daß sie verloren die Köpfe.


Ein leeres Gespreize, ganz wie sonst,

Ein abgeschmacktes Scherwenzen –

Possierlich sind und schauderhaft

Die kopflosen Reverenzen.


Es knickst die erste Dame d'atour

Und bringt ein Hemd von Linnen;

Die zweite reicht es der Königin,

Und beide knicksen von hinnen.


Die dritte Dam' und die vierte Dam'

Knicksen und niederknien

Vor Ihrer Majestät, um Ihr

Die Strümpfe anzuziehen.


Ein Ehrenfräulein kommt und knickst

Und bringt das Morgenjäckchen;

Ein andres Fräulein knickst und bringt

Der Königin Unterröckchen.


Die Oberhofmeisterin steht dabei,

Sie fächert die Brust, die weiße,

Und in Ermanglung eines Kopfs

Lächelt sie mit dem Steiße.
[26]

Wohl durch die verhängten Fenster wirft

Die Sonne neugierige Blicke,

Doch wie sie gewahrt den alten Spuk,

Prallt sie erschrocken zurücke.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 25-27.
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