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[283] Wie lang ist's her? Erst sieben Jahre!
Und doch klingt's schon: Es war einmal!
Der Wiege näher als der Bahre,
Stieg ich tagtäglich ins Pennal.
Ich war ein träumerischer Junge,
Las Cicero und Wilhelm Hauff
Und trug das Herz auf meiner Zunge
Und spiesste Schmetterlinge auf.
Auch lief ich, Katzengold zu suchen,
Oft Tage lang im Wald umher
Und schwärmte unter hohen Buchen
Von einstger Nimmerwiederkehr.
Betäubend dufteten die Kressen,
Grüngolden floss das Licht herein;
Es war ein seliges Vergessen,
Vergessen und Vergessensein![283]
Der Lenzwind liess die Aeste knarren,
Vom Dorf herüber klang die Uhr,
Ich lag begraben unter Farren
Und stammelte: Natur! Natur!
In alten Büchern steht geschrieben,
Du bist ein Weib, ein schönes Weib;
Ich bin ein Mensch und muss dich lieben,
Denn diese Erde ist dein Leib!
Weh, jenem bleichen Nazarener!
Er stiess dich kalt von deinem Thron!
Ich aber bin so gut wie jener
Der Gottheit eingeborner Sohn!
Ich will nicht mönchisch dich zergeisseln –
Her, deinen Freudenthränenwein!
Ich will dein Bild in Feuer meisseln
Und Vollmensch wie ein Grieche sein!
Doch du, um die in ewgem Schwunge
Die Welt sich dreht, o Poesie,
O, lege Gold auf meine Zunge
Und in mein Herz giess Melodie!
In ewge Lieder lass mich weben,
Was du so süss in mir erhellt,
Und wie so köstlich doch das Leben
Und wie so wunderschön die Welt![284]
Noch gährt's von Blinden und von Tauben
Und mehr als ein Herz ward zum Sfein,
Ich aber lehre sie wieder glauben,
Ich will der neue Johannes sein!
In deine Wunder will ich wiegen
Die Sehnsucht ihres kranken Seins,
In deine Arme will ich sie schmiegen,
Denn ich, du, sie ... o, wir alle sind Eins!
So lag ich träumend einst im Walde,
Wenn tiefblau rings der Himmel hing,
Bis draussen hinter grüner Halde
Die Sonne blutroth unterging.
Dann schritt ich heimwärts, und mit Singen
Begrüsst ich meines Vaters Haus
Und schaute, wenn die Sterne gingen,
Noch lange in die Nacht hinaus.
Und jetzt? – Die heimatlichen Thäler,
Die seine Jugend grün umrauscht,
Hat längst der lyrische Pennäler
Für eine Weltstadt eingetauscht.
Er sieht mit Schauder, wie das Laster
Sich dort juwelenfunkelnd bläht,
Das Elend aber tritt das Pflaster
Von Morgens früh bis Abends spät![285]
Er hört, wie nachts in den Fabriken
Der Proletar nach Freiheit schreit,
Indess ein Volk von Domestiken
Dem nackten Recht ins Antlitz speit!
Er fühlt, wie wilde, wilde Flammen
Ihm heiss und roth das Hirn durchlohn,
Und beisst die Zähne fest zusammen
Und murmelt: Hohn, Hohn, dreimal Hohn!
Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in seiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.
Er hat es längst, schon längst vergessen,
Wie wohl im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kressen,
Sich einst so schön, so schön geruht!
Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlösung schreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längst verrauschten Kinderzeit.
Dann stöhnt er auf, und seine Hände
Presst er verzweifelt vors Gesicht
Und rings die weissgetünchten Wände
Erzittern, wenn er schluchzend spricht:[286]
O Poesie, du Heiligschöne,
Von Thränen ist mein Herz durchnässt,
Weil du den treusten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern lässt.
Ich war ein Kind und sprach: O, schütte
Dein Füllhorn golden in mein Lied
Und lass mich knien in einer Hütte,
Auf die der Stern der Liebe sieht.
Ja, lass auf einem weissen Zelter
Mich fliegen in den Sonnenschein,
Lass aus des Lebens Freudenkelter
Mein Herzblut sprühn als Liederwein!
Du schwebtest segnend durch die Lüfte,
Ich hab dir selig nachgeblickt,
Und Lenzgoldlicht und Blüthendüfte
Hast du mir lächelnd zugenickt.
Und doch, und doch! Du hast gelogen!
Dein Lächeln war ein schönes Gift!
Du hast mich um mich selbst betrogen!
Dein Herz ist schwarz wie deine Schrift!
Du gabst mir einen wilden Rappen,
Umschnürtest meine Brust mit Erz
Und unter Thränen in mein Wappen
Hast du gestickt ein blutend Herz![287]
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