[54] Aria.
Wohin reißt euch bestürtzte Sinnen
Der Anblick dieser Eitelkeit?[54]
Ihr Augen/ ach erstarrt ihr nicht!
Wird Finsternüs/ was vormahls Licht!
Hier lieget/ was uns vor erfreut/
Und was ein Hertz kan lieb gewinnen.
Wohin reißt euch bestürtzte Sinnen
Der Anblick dieser Eitelkeit?
Was ist der Mensch/ worauf baut sein Vergnügen?
Auf sein Geschlecht? das kommt und muß vergehn.
Wie Spreu muß Lust und Herrlichkeit zerfliegen.
Der Wind fährt hin/ woher er auch muß wehn.
Die Wasser stürtzen sich ins Meer/
Woraus ihr Uhrsprung kommen.
Und ach der Mensch (O Seele sey behertzt/
Daß mich nicht die Betrachtung schmertzt/
Wird endlich Staub/ wovon er ist genommen.
Aria.
Lerne mich doch selbst erkennen/
Weißheits volle Sterblichkeit/
Bau ein Grab in meinem Hertzen/
Und zum Sarg in Lust und Schmertzen
Stille Gott-Gelassenheit
Da Capo.
Ach süsses Leben.
Wer so den Geist der Welt hat aufgegeben.
Aria.
Frolocke weiser Sterblicher/
Du hast nunmehr gesiegt/
Dein Hertze tritt die Erden schon mit Füssen/
Den Leib wird seelge Ruhe küssen/
Wenn er darinnen liegt.
Frolocke/ weiser Sterblicher
Du hast nunmehr gesiegt.
[55]
So lebe man/ um allezeit zu sterben.
Das Ebenbild nicht gäntzlich zu verderben/
Das Gott sich gleich gemacht/ und man so oft verletzt.
Das Irdische/ so meine Seel ergetzt/
Muß im Gemüth schon nach dem Himmel schmecken.
Damit was mir bey jener Welt
Soll unaussprechlich wohl erwecken/
Mit Schrecken mich nicht einst umschlossen hält.
Aria.
Die nun edle Hertzen haben/
Werden sich in sich begraben/
Ehe noch das Ziel bestimmt.
Daß/ wenn Laster Aschen werden/
Die Verklärung hier auf Erden
Ihren seelgen Anfang nimmt.
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