Uber einen schönen Abriß des Herrn Christus/der sein Creutz umarmet hatte

[176] Wein Jesus werde gar in meine Brust gemahlt!

O Glaube/ reiß Ihr ab/ so wie er hier getroffen.

Wie Er die Sünde trägt/ wie Er vor mich bezahlt:

In Jesu Wunden steht der gantze Himmel offen.

Er hat sein Creutz im Arm. O ungemeine Huld!

O Liebe/ die uns kan den bittern Tod versüssen!

Ach! Jesus Lieb' umarmt so fest der Menschen-Schuld/

Als wär' es seine Lust am Creutze sterben müssen!

Er legt es an das Hertz/ und zeigt beweglich an/

Wie lieb Er uns gehabt/ wie unser Heil und Leben

Ihm an den Hertzen liegt; wie es Ihm Weh gethan/

Daß wir im schweren Zorn auf ewig solten schweben.

Er stehet nackend da. Die Unschuld braucht kein Kleid.

Die Demuth Christi büßt/ was unser Stoltz verdienet.

Daß uns die Sünde band/ war unserm Jesu leid/

Er trug die Banden selbst/ daß unsre Freyheit grünet.

Den Schwamm hält seine Hand/ mit Eßig angefüllt.

Welch Labsal vor ein Hertz/ das mit dem Tode ringet!

Wie bitter ist sein Kelch/ woraus das Leben qvillt/

Das uns sein Kelch nunmehr in seinem Blute bringet!

Der Rohr-Stab steht am Creutz. O schlag' an deine Brust!

Um deinetwegen wird dein Jesus wund geschlagen.

Man geisselt seinen Leib um unsre böse Lust/

Wir sollen sein Verdienst/ er will die Schmertzen tragen.

O welch Erbarmen ists! bist du von Marmor-Stein/

Bist du von Diamant/ sein Blut muß dich erweichen.[176]

Schick einen Blick dahin/ wo Jesus Wunden seyn/

Wo sich um deine Schuld die Unschuld läßet streichen.

Vieleicht so jammerts dich; es bricht dein Hertz entzwey/

Die Wehmuht schließt es auf mit tausend Thränen-Güßen.

Er leidet ja um dich. Wer wolte diese Treu/

Nicht voller Lieb und Schmertz mit naßen Augen Küßen.

O Seele thu es doch! Er hatte nichts gethan/

Und gleichwohl zaget er um deiner Ubelthaten.

Ach eile zu dem Creutz/ schau Ihn mit Zähren an/

Und höre/ was er wird der matten Seelen rahten:

Ich lege mein Verdienst/ spricht Jesus/ nun auf dich.

Gedenck an meine Huld/ du hattest viel verbrochen.

Doch deiner Sünden-Last erbarmt mein Vater sich/

Und hat durch meinen Todt dich völlig loß gesprochen.

Geh hin/ ich liebte dich/ wie nie ein Mensch geliebt.

Erinnre dich daran/ mich wieder lieb zu haben.

Stirb allen Lastern ab/ die mich schon einst betrübt/

Weck nicht die Sünden auf/ die ich vor dich begraben.

Weil du in meinen Tod getauffet worden bist/

So lebe nun mit mir/ damit ich möge sehen/

Daß auch dein alter Mensch mit mir gecreutzigt ist/

Daß ich den neuen seh in meinem Wandel gehen.

Betrachte mich recht wohl/ beschaue meine Noth/

Hier geb ich/ liebster Mensch/ was dich allzeit beglücket:

Es sey in Freud und Leid/ im Leben oder Todt/

So habe Jesus Creutz in deine Brust gedrücket/

Wie es die Liebe hält/ die Menschen Liebe heißt/

Wie ich den Arm gestreckt/ der deiner sich erbarmet/

Wie ich mein Creutz umfaßt/ das niemand von mir reißt/

Du aber bist mein Creutz/ wie ich dich selbst umarmet.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 176-177.
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