Zweites Kapitel

[218] Noch denk ich gerne des Morgens, der uns jetzt umfing, und wie sein Zauber uns verjüngte. Doch fand ich nie ein treues Bild für meine goldnen Stunden, um andern zu verkünden, was ich genoß. Die Natur gab ihren Mutterpfennigen ein ungangbares Gepräge, damit wir sie nicht, wie Scheidemünze, verschleudern sollten. Auch mir war sie lange fremd gewesen, diese Ruhe und Regsamkeit, wo alle Kräfte ineinander spielen, wie die stillen Farben am Bogen des Friedens.

Es war ein heiterer blauer Apriltag. Wir setzten uns in den Sonnenschein, auf den Balkon; es säuselten um uns die Zweige und durch die sonntägliche Stille tönte ferner Türme Geläut und gegenüber das Spiel der Orgel vom Hügel der Kapelle.[218]

Du machtest mich begierig, fing ich endlich an, auf die Geschichte deines jugendlichen Lebens –

Ich bin auch itzt gerade gestimmt, unterbrach er mich freundlich, die wunderbaren unschuldigen Gestalten erscheinen zu lassen, auch die wildern. Du bleibst so lange bei mir, bis ich zu Ende bin. Ich gestehe dir, ich mußte mich lange von ihnen ferne halten um deswillen, was ich verlor, ich mußte mich hüten vor den Freuden und Schmerzen der Erinnerung, ich war, wie eine kranke Pflanze, die die Sonne nicht er tragen kann.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Stuttgart 1958, S. 218-219.
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