An J.M. Miller

[125] Denk' ich, Bester, des Trennungstags,

Ach, dann bricht mir das Herz, Tage der Zukunft, ach,

Einer traurigen Zukunft, nahn,

Mit umdüsterter Stirn, jeder den Wermuthkelch

In den Händen, und dräuen mir.

Ach, sie kommen zu bald, schütten den ganzen Kelch

Über deinen Getreuen aus,

Wann er ferne von dir weinet, von eurem Kuß,

Bundesbrüder, von eurem Sang,

An der Leine Gestad weinet, und keinen Trost

Auf der Erde mehr finden kan.

Rosen schließen sich zu, nahet dein Traurer sich,

Wo sie brannten in ihrem Thau,

Als noch Lauren der Hain kühlte, das Abendroth

Um die Locken des Mädchens floß,

Und mein Erstlingsgesang säuselte durch die Flur.

Ach, die Seelen der Abende,

Die wir Brüder verkos't, werden oft vor mir stehn,

Schön und lächelnd wie Seraphim,

Und die Seelen des Sangs, welcher dem Harfengriff

Meiner Lieben entstürmete.

Deines Herzensgesprächs, Trauter, und Freundesblicks

Werd ich gehren, und, ach, umsonst!

Deines Minnegesangs, welcher so lieblich scholl

Guten Frauen, und, ach, umsonst!

Angeduftet vom May, flimmert der Abendstern

Durch die Blüthen, der Schauer war

Unsrer lenzlichen Lust, werd ich dich spähn, den Arm

Nach dir strecken, und, ach, umsonst![125]

Keine Thräne, kein Flehn sehnet an diese Brust

Dich herüber, an diese Brust,

Wo mit Lauren dein Bild lebet, und leben wird,

Bis mich hüllet die Rasengruft.

Und die hüllet mich bald. Flüstert das Rebengrün,

Wo du sitzest, im Mondenglanz,

Flimmert eine Gestalt, Traurigkeit im Gesicht,

Melancholisch vor dir vorbey,

Winkt und lächelt dir zu, Bester, es ist dein Freund.

Er begegnet, der fromme Geist,

Einen Engel am Arm, sinket dein Todesloos,

Dir am Ufer der Ewigkeit,

Bleibet ewig dein Freund. Freundschaft und Liebe wohnt

Unter Palmen Jehovahs, setzt

Himmelskronen uns auf, welche kein Schicksal welkt.
[126]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 125-127.
Lizenz:
Kategorien: